Do. Mrz 28th, 2024
Rainer Hess, Andi Bühler, Roberto Badoglio

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Weltraum Jazz im Artenschutztheater am Freitag, dem schwärzesten 13ten seit langem, an dem abends erst ein Livekonzert im Artenschutztheater stattfindet und wenig später in Paris eine gewaltsame Terrorwelle sondergleichen losbricht. Tränen vor Glück und Tränen vor Entsetzen an einem Abend. Dieser Abend wird in Erinnerung bleiben.

Als Spielstätte guter Livemusik etabliert sich immer mehr das Artenschutztheater in Berlin-Moabeat (Moabit, Tiergarten). Bundespräsident Gauck ward hier noch nicht gesehen. Dabei wohnt Gauck umme Ecke, fußläufig. Und lässt sich doch lumpen. Zunehmend spielen hier allerdings Musiker von Rang, Können und Namen. Dabei ist der Donnerstag ein wohlfeiler Augenblick im Liveprogramm. Die Veranstaltungsreihe heißt Funky Moabit und sie wiederbelebt die etwas ältere, frühere Tradition ausgiebiger Liveperformances mit Sessioncharakter. Musiker, die möchten, treffen sich mit Gästen, die sich nicht trauen bzw. Musikinteressierten, die nur mal schauen möchten. Es gibt immer einen Opener, jemanden, der Anderen Mut macht, es ihm gleich zu tun.

Der sehr freundliche, italienische Spitzenbassist Roberto Badoglio (Bj. 84) ist so einer. Eine gewinnende, persönliche Natürlichkeit besitzt er und ist doch ein spielerischer Gigant, der einem beim Zuhören und Zusehen nicht selten die Schweißperlen ins Gesicht treibt. Auch international ist Roberto Badoglio in Sachen handgemachter Musik unterwegs. Mit seinem vermutlichen deutsch-isländischen Lieblingsgitarristen Bjössi Klütsch hat er den australischen, in Amerika lebenden Weltklasseschlagzeuger Virgil Donati und den amerikanischen Keyboarder/Pianisten Steve Hunt zu einem Quartett geformt. Wir berichteten.

Rainer Hess, Andi Bühler, Roberto Badoglio (Artenschutztheater, 13.11.15)

Reiner Hess (sax) – Doron Segal (keyboards) – Roberto Badoglio (b) – Andi Bühler (dr)

Host und Ghost sein

Am Donnerstag ist Roberto Badoglio Host und Eröffner der Funky Moabit-Session, die im weiteren Verlauf des Abends noch fulminante Züge annimmt. So müssen Sessions sein: Die Zuschauer und Musiker gehen danach nach Hause und grooven innerlich noch so´n bisschen.

Am Freitag, den 13. November ist Badoglio schon wieder da. Man könnten ihn wohl auch Roberto ‚work in progress‘ Badoglio nennen. Umtriebig.

Am Abend lädt der Berliner Jazzsaxophonist Reiner Hess zum Raumschiff-Jazz ins Artentschutztheater. Einmal am Abend wird Hess sich vornüber beugen, weil das beste aller denkbaren Mikrofone sein Saxophon abnimmt und laut „Wacka“ hineinsagen. Er ist irgendwie der Geist von Moabeatville, nein Hess ist heute hier der Host. Badoglio, Segal und Bühler sind die Ghosts. Hui Bu! Wacka!

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Wacka! Wacka!

Was folgt, ist spielerisch auf höchstem Niveau angebotenes Audiokompott mit jazziger Gesamtkonotation. Dies Quartett ist wirklich irgendwie auch weltmusikalisch, wir brauchen uns um Regeln kaum zu kümmern. Alle Musiker sind gut ausgebildet, in Berkley, in der Schweiz, Hess hat hier wirklich bewunderungswürdige Einzelmusiker-Persönlichkeiten um sich gescharrt und wie um den Host zu markieren, trägt er an diesem Abend ein rotes Stirntuch, eine kleine Applikation, aber auch eine verwirrende Attitüde. Man neigt schnell dazu, das spinnert zu finden. Bis die Band anfängt zu spielen. Dann  verstummt schließlich schnell der etwas kritische Geist persönlicher Vorverurteilung. Auch Hess ist nämlich in keinster Weise eine Art befreiungsesoterischer Musikspinner, der im Sommer bei der Toskana-Fraktion „ich singe meinen Namen“ lehrt. Der Mann hat einen besonders schönen, sehr runden Ton, kann bei Bedarf auch kontra den Rhythmus laut quietschen, aber setzt alles, was er tut, sehr rund und sparsam genug ein, um die Free-Jazz-Ängste unschuldiger Konzertbesucher zu konterkarieren.

Eins seiner am Abend aufgeführten Stücke heißt Doccione und malt lautmalerisch aus, wie der kleine Ort in der Toskana für ihn klingen muss. Es ist Weltmusik. Andi Bühler nimmt reichlich Percussion-Besteck zwischen die Finger und lässt es ordentlich rascheln, klackern und Hess malt wie ein Dampfer auf Weltkreuzfahrt elegische Saxophontonleitern in den entstandenen Klangteppich hinein: Webkunst at it´s best.


Raumschiff Jazz, Berlin-Mars, Reiner Hess

Ein paar Gäste im Publikum sind angereist aus der Toskana, weil sie mit Hess und weiteren Gästen im Publikum zu tun haben mit den Workshopreihen sommersüber sommersda. Ach, hätten doch alle eine ähnliche Liebe zur Musik, dann käme niemand auf die Idee, in Paris durch die Gegend zu schießen, die Welt wäre ein Stück friedlicher und etwas verheißungsvoll gesprochen eine terra musica! Unter allen schönen Gedanken ist dieser vielleicht der beste.

Ich kann aus anderen Gründen an diesem Abend nicht das gesamte Konzert über bleiben und bin auf dem Weg anderswohin darüber ehrlich, aufrichtig und vollständig traurig. Was ich an diesem Abend hier auf die Schnelle zu hören bekommen habe, gehört für mich zum besten, was ich in dieser Musikerrichtung in Berlin in letzter Zeit ansehen konnte.

Beachtet dieses musikalische Quartett und etwaige Konzertankündigungen. Ihr werdet es nicht bereuen. Reiner Hess informiert hier über Konzerte. Mit rotem Stirnband, nicht gelbem.

_link Lotse

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