Do. Mrz 28th, 2024

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„Brandenburg had a terrific understanding of technology and human anatomy and mathematics, but the guy couldn’t even patent the most obvious device that he invented, the portable music player.“ Stephen Witt hier „A Eulogy for the MP3

Gemeint ist im Zitat der als Erfinder des Formats mp3 geltende Karlheinz Brandenburg.  Antworten zu Verlinkungen in diesem Artikel gibt es in den Links, die man als weiterführend zu betrachten berechtigt ist.

Selten schafft es eine Art Leserbrief auf eine Artikelseite. Man kann ja mal eine Ausnahme machen. Bzw. eine Aufnahme von einem Feedback. Hui. In einem Leserbrief, der kenntnis- und gesichtspunktereich verfasst wurde, lesen wir wörtlich:

(Zitat)

Zuerst möchte ich sehr stark anzweifeln, ob der Autor das doppeldeutige Wort „free“ mit „befreien“ gut übersetzt hat. „For free“ heißt halt „kostenlos“ und insofern spielt der Buchautor mit eben dieser Doppeldeutigkeit. „Befreien“ ist dagegen nicht nur ein eindeutiger, sondern auch ein eindeutig positiver Ausdruck. Die Ambivalenz bleibt dabei auf der Strecke. Daher: Schlechte Überschrift/Übersetzung.

Weiter: Ja, die Erfindung der MP3 Daten-Kompression ist eine sehr gute Ergänzung zu den anderen Audio-Formaten. Aber MP3 erreicht natürlich nicht die Audioqualität einer 16bit Aufnahme auf CD. An eine 24bit oder analoge Aufnahme kann das Format erst recht nicht herankommen. Das betrifft vor allem die Tiefe und den Detailreichtum der nicht im Vordergrund stehenden Aufnahmeobjekte. Das komplette Obertonspektrum und damit die genaue Abbildung des Klangcharakters der Soloinstrumente wird ebenfalls nicht erreicht. Ein Studiobetreiber erzählte mir, dass er speziell wegen des MP3 Formats deutlich stärkere Hall-Effekte verwenden würde, da ein normal dosierter Hall von den Algorithmen gnadenlos verschluckt werden würde. Man höre sich z.B. Orchesteraufnahmen an, die per se wesentlich differenzierter und tief reichender sind als normale Pop-Aufnahmen. Der Unterschied wird auch ungeübten Ohren schnell offenbar werden. Und da wir bei den „ungeübten Ohren“ sind – ein weiterer Aspekt: MP3 hat das Hören von Musik generell verändert, da es nunmehr von Quantität statt Qualität dominiert wird. Man kann in Sticks oder MP3-Player unzählige Songs speichern und man betrachtet dieses als Qualitätsmerkmal – nicht die Klang- oder Musikqualität. Daraus lässt sich ableiten, dass Musik primär als Massenware angesehen wird. Eine intensivere Beschäftigung oder Konzentration auf wenige Stücke findet nicht oder nur selten statt. Einzelne Musiktitel werden also austauschbar und bekommen in den Ohren der Konsumenten dadurch noch weniger Wert zugewiesen. Was schon etwas heißen will, da für sie der Begriff „Wert“ im Kontext mit Musik angesichts der freien Downloadmöglichkeiten ein ziemlich bizarrer ist.


Suzanne Vega – Toms Diner (Official Music Video)

Weiterer Punkt: Natürlich sind durch MP3 die Einnahmen der Plattenfirmen und der Künstler je nach Genre (s.u.) extrem zurückgegangen. Wer etwas anderes behauptet, verkennt die Realität oder verfolgt anderweitige Interessen. Wer z.B. die Kartenpreise für Pop/Rock-Konzerte mit denen vor ein paar Jahrzehnten vergleicht, wird einen ungesunden Anstieg der Preise feststellen. Grund: Die Tourneen bringen heutzutage die notwendigen Einnahmen, nicht die Platten. Und während es in den 70-ern oder 80-ern normal war, dass Bands eine neue Platte mit einer sog. Promo-Tour unterstützten, die manchmal lediglich kostendeckend konzipiert war, hat sich das heute fast in das Gegenteil verlagert. Eintrittspreise und Merchandising machen den Gewinn.

Der klassische Sektor reagierte dagegen – grob besehen – bei weitem nicht so vehement auf MP3 und die freien Downloadmöglichkeiten. Das hat neben der Klangqualität und dem leider meist älteren Klientel auch etwas mit dem Interesse der Hörer an den Details einer Aufnahme zu tun, die ihnen nur das Inlet einer CD oder eine etwas intensivere Recherche im INet bieten können. Wer schon einmal registriert hat, wie viele Mitwirkende in einer Opernproduktion relevant sind, wird das nachvollziehen können. In der Summe hat MP3 daher den klassischen Sektor der Plattenfirmen weit weniger hart getroffen wie deren Pop-Abteilungen.

Und nun? Nun wurschteln alle Beteiligten nach Gutdünken in der medialen Welt herum und beißen sich die Zähne dabei aus, so etwas wie eine neue Ordnung zu etablieren, die die Vorzüge der digitalen Möglichkeiten mit dem Vergütungs-/Gewinnsystem der analogen Aera verbindet. Einige Menschen – wie die „Piraten“ – negieren sogar den individuellen Besitz geistigen Eigentums und tun damit so, als würde eine bestimmte künstlerische Idee im besitzlosen Zustand über den Köpfen aller Menschen schweben und müsste nur von irgendeinem Künstler ergriffen und veröffentlicht werden. Kein Gedanke an all die Komponenten, die zusammenkommen müssen, damit ein Künstler dazu in der Lage ist, eine Idee von ihrem Anfangsstadium zu einer möglichst reifen, runden Endform zu bringen. D.h. Ausbildung/Studium, Fantasie, Erfahrung, technische/handwerkliche Fähigkeiten, Hingebung etc. – all das kann für derartig Denkende problemlos durch „Sozialisierung“ einer einzelnen Person aberkannt werden.

Und zum Schluss: MP3 wurde erst im Kontext mit der allumfassenden Digitalisierung und dem INet zum Problemfall mit durchaus positiven Nebeneffekten – oder anders herum formuliert. Außerdem liegt es gerade im Interesse der großen Konzerne wie Apple etc., Musik als Massenware zu vermarkten oder als möglichst billige Zugabe zu ihrem Angebotsportfolio hinzufügen zu können. Ich sehe angesichts dieses Labyrinths an Möglichkeiten, Formaten, Schlupflöchern und Interessen nur die eine Möglichkeit, die sog. „User“ noch stärker darüber aufzuklären, wer an der Produktion der von ihnen goutierten Musik beteiligt war und was geschehen würde, wenn sich alle Konsumenten bedenkenlos um jegliche Form der Entlohnung drücken würden. Es sollte daher noch stärker darauf geachtet werden, an das Gewissen der Hörer zu appellieren. Und das tut man nicht mit Überschriften, die von einer „Befreiung der Musik“ sprechen.

(Ende Zitat)

Und ja, das hat ein(e) Leser(in) namens Elisabeth Steiner geschrieben. Damit hat sie sich ideenreich an Toms Diner gerieben, dem ersten offiziellen Feldversuch, Musik in Kompressen zu packen.

Das alles nützt jedoch wenig, wenn wir den Hintergrund nicht kennen, zu dem diese Gesichtspunkte eine so zahlreiche Erweiterung eigener Gesichtskreise darstellt, dass es einem unmöglich ist, es weiterhin zu ignorieren.

Der Artikel, um den es geht, ist hier anzusteuern. Unbedingt lesenswert.

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