Di. Mrz 19th, 2024

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Wie versifft? Der Raum ist vintage. #Redensarten

Sie hätten es nicht weit gebracht, hätten sie nicht einen Proberaum bekommen, und auch wenn er mit Blümchentapete tapeziert war: Die Beatles haben Musikgeschichte geschrieben. Der Grund: Sie konnten miteinander ausprobieren, was sich lohnt darzubieten. Erst in einem guten Proberaum entsteht headroom. Operation freier Kopf. Aber bitte in einem halbwegs gepflegten, urbanen Ambiente. Was gehört dazu?

Allein über das Thema Proberaum kann man ganze Bücher verfassen. Historienrückblick: Wir haben uns schon in den Achtziger Jahren im alten Westberlin damit redlich geplagt. Sogar ein großes Benefizkonzert in der Berliner Waldbühne haben wir damals veranstaltet. Johnny & The Drivers spielten, UKW (Sommersprossen), Interzone (RIP Heiner Pudelko, Gott am Gesang), die Insisters und viele, viele mehr. Der 1. Berliner Rocktopf war eine Benefizveranstaltung im ganz großen Stil. Schirmherr war ein Berliner Verein von Musikern, dem ich als Vorstand vorstand, und gängig wurde das sowieso nur, weil der damalige Rockbeauftragte des Berliner Senats Bernd Mehlitz mit seinem Mitarbeiter Uwe Sandhop (Sandy Hobbs, Bassist der Beatitudes) betonte: „Der Senat hat die Absicht, der Berliner Musikszene beim Beschaffen von Übungsräumen zu helfen.“ Ganz anders als Walter Ulbricht. Der hat eine Mauer ziehen lassen, da nahmen die Ostberliner Musiker den Wessis keine Räume weg, Interzone strich sie schwarz an und stemmte sich dagegen, als Jim Rakete den Auslöser drückte. Das Foto machte Geschichte. Mein Gott, Walter: Das war aber so nicht abgesprochen.

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Wer aktuell einen Proberaum hat, hat schon Glück.

Immer mehr fallen bestehende Proberäume auch den Gentrifzierungsmerkmalen ganzer Stadtteile zum Opfer. Irgendwann wird da dieses neue Mehrfamilienhaus gebaut, wo Menschen in Eigentumswohnungen einziehen und dann gibt’s erst mal Lärmschutztrallala.

Oder es werden bis ins Unkenntliche die Brandschutzvorschriften bemüht. Wo früher gesunder Menschenverstand herrschte und man Räumlichkeiten vor 100 Jahre gebaut hat, in denen man sich beispielsweise Stunden aufhalten konnte und sollte, ohne gleich in Vorschriftenverschiss (!!) zu geraten, ist heute King Gesetz und Verordnung maßgeblich. Die ganze Entwicklung der immer enger werdenden Vorschriften zeigt sich am Beispiel der Straßenmusikerin Elen Wendt klar und deutlich: Man darf keinen Gitarrenkoffer mehr hinstellen auf öffentliches Straßenland, ohne Sondernutzungserlaubnis. Ja hallo?

1. Berliner Rocktopf am 30. Juli 1983 Waldbühne (Druckfehlerberichtigung, statt 1980)
1. Berliner Rocktopf am 30. Juli 1983 Waldbühne (Druckfehlerberichtigung, statt 1980)

Ich hatte schon früh in meiner Menschwerdung folgendes Schlüsselerlebnis. Es war die Westberliner Band Skyhook, deren Mastermind und Keyboarder Waltraud (das war sein Spitzname) immer eingangs ihres Auftritts im Intro lautstark folgenden Spruch in die aufwallenden Soundclouds seiner Keyboards warf: „Wenn die Sonne der Kultur niedrig steht, werfen selbst Zwerge lange Schatten.“ (Karl Kraus) – Genau so ist es.

Neue Räume werden im Altbestand allein aus legalistischen Gründen kaum noch hergerichtet. Zu viele Wenns und Abers, was fehlt, ist gesunder Menschenverstand und die Erkenntnis: Schon immer haben sich Menschen in Räumlichkeiten zurückgezogen, um Musik zu machen und andere nicht zu stören. Das Zauberwort hierfür heißt Dispens (Befreiung vom geltenden Recht im Altbestand) und existiert praktisch nicht. Ihr Hühnerhugos. Darauf ein Flaschenbier aus dem Proberaumkühlschrank.

Sky Hook-Gitarrist Jürgen Mundhenk hatte (und hat heute noch) den Spitznamen „Schlucki“, warum? – Ich hoffe sehr, es geht ihm gut. Ich mochte ihn immer sehr. Er hat mich damals im Grunde dazu gebracht, es musikalisch zu versuchen.


Playmobeat Drum Trio – Das Trommelamt (E1)

Playmobeat ist ein Berliner Trio von Schlagzeugern. Chris Heiny, David Paetsch und Andi Bühler performen, was sie tun rhythmisch. Ihre Website ist unten verlinkt.

Diejenigen, die einen Proberaum besitzen, schätzen ihre Macht über ihren Proberaum recht hoch ein und machen auch gern Vorschriften für Untermieter, die als Nachzügler auf Mieten- und Proberaumzeitteilung hoffen. „Ihr dürft kein Equipment von Euch reinstellen“, sagte einer, „Du spielst einfach auf meinen Drums.“ Die Drums sind allerdings ungefähr vierzig Jahre alt und warum dieser Drummer noch nie das Snarefell gewechselt hat? Wer weiß? Ähnlich verhält es sich mit allen anderen Kesseln und der Flugrost nagt schon am Geringe. Apropos gering.

Das Drumset von Familie Flodder zur Vorzugskondition

Gegen eine geringe Aufpreisgebühr von 20,- €, so schlug der 25-jährige spanischer Musiker vor, dürfe das Equipment seinerseits (einen rotten Basskleinamp + ein altes 10 Kanal-Mischpult Baujahr 1982) mitbenutzt werden.

Als der anfragende Untermietinteressent hinwies, er solle den Raum mal richtig aufräumen, erstens, und zweitens das Altequipment wegschaffen, man hätte viel Besseres und sei gern bereit, es kostenlos zu teilen, da sagte der spanische Freund ab. Er wolle keine Profis in seinem Raum.

Verschissene Proberaumsuada

Die 20,- € waren ihm wohl wichtiger. Und aufräumen? Eine verschissene 20 m² große (zu kleine) Proberaumsuada ohne jeden Liebreiz mit Dosen- und Flaschenpfand bis zum Abwinken und vollgekotzte Altteppiche. Ich übertreibe absichtlich. Ich glaube, man versteht mich schon. Es ist gerecht dargestellt, aber es ist nicht gerecht, wie viele Proberäume aussehen. Jungs, macht sauber: Es hilft dem Kopf kreativ zu sein.

Einer, der es für mich sehr schön auf den Punkt gebracht hat, heißt David Paetsch und ist Drummer in Berlin (u.a. Playmobeat). Er schrieb folgenden Textbeitrag auf facebook, den ich aus Anlass dieses Artikels sehr gern kontextsensitiv wiedergebe:

*Schöner Proben* (von David Paetsch, Gastbeitrag)

(Anfang)

Ich habe nie verstanden, warum Übungsräume leicht riechen und eine Zufluchtstelle für alleingelassene Sofas sind? Bemerkenswert ist auch die Kühlschrankdichte in den schallisolierten Räumen dieser Republik. Dazu muss ich hinzufügen, dass es sich im europäischen Ausland und Skandinavien ähnlich verhält. Ein Proberaum darf anscheinend nicht einladend sein. Wer Erfahrungswerte von anderen Kontinenten hat, ist gerne zum Erfahrungsaustausch willkommen.

Nun zurück zum Inneneinrichtungsstil eines Raumes, in dem ich mehr Lebenszeit verbringe als zu Hause. Warum sich diese Zeit nicht verschönern?

Da Schlagzeuger Macher sind, können wir alles außer Weltraumfahrzeuge bauen. Allein die grobe Übersicht über meinen Kollegenkreis ergibt, dass zur Zeit drei Übungsboxen zu herrschaftlichen Anwesen mit Koppel und überdachtem Pool umgebaut werden. Hier verhält es sich wie der Wohnungsmarkt, auf dem immer mehr geweißte Appartements mit abgezogenen Dielen zu finden sind.

Irgendwer hat aus den Bruchbuden annehmbare Wohnräume gemacht. Und wer war es?

Genau, die Trommler.

Jetzt sind die Übungskeller dran bis es weltweit keine auslaufenden Kühlmöbel und muffige Auslegware in Musikernähe gibt. Ja, ich befinde mich gerade in einem verwahrlosten Exemplar dieser Gattung und plane schon den Umbau. 20 Besuche beim Baustoffdealer meiner Nachbarschaft werden ausreichen. Das Budget leicht um 100% überzogen, wird die Sanierung voraussichtlich nur von zwei Personen bemerkt. Der zufällig anwesenden Gattin eines Kollegen und meiner Person. Die besten Dinge macht man für sich selber. Habe ich mir sagen lassen. Wenn der Raum meinen Vorstellungen entspricht und ich nicht ausgelastet bin, besorge ich mir die Baupläne vom Space Shuttle.

Darin soll man auch prima üben können und man stört keinen im Umkreis von 384.000 Kilometer Entfernung.

(Ende)

Weiterführend

2 Gedanken zu „#1424/16 – Positionen – Blümchentapete, Rocktöpfe, Übungsräume und Schlagzeuger in #Berlin #Proberaum – eine Situationstragik“

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