Di. Mrz 19th, 2024
Kannibalen in Zivil #KIZ #Prisma

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Kannibalen in Zivil #KIZ #Prisma

Ich war längere Zeit nicht mehr bei einem so großen Konzertevent, wie gestern Abend in der Freilichtbühne Wuhlheide. Die Kannibalen in Zivil – KIZ – nahmen sich den Samstag zur Brust und es gab Regen, ein Segen. Was eingangs wie ein großes Public Viewing begann, mit hübschem Farbfernsehprogramm auf drei großen Bildschirmdisplays, wurde im Verlaufe des Abends immer mehr zu einem Hip-Hop-Abenteuer von vier enthusiastisch battlelnden Führern. 17.000 Zuschauer sangen am Ende die Hymne der Hurensöhne.

Paul is dead – 21.08.16

Manchmal spielt einem das Gehirn Streiche. So wie am 20.08.16 in der Freilichtbühne Wuhlheide. An diesem Samstag treten in der Berliner Zweitwaldbühne die Kannibalen in Zivil – kurz KIZ – auf. Am Einlass vorbei, finden wir unsere Plätze auf den unteren, guten Rängen. Der verabredete Dresscode ist schwarz. Wir sind Haustiere von KIZ, das ist die Gästeliste, auf der zu stehen in gewisser Weise ein großes Privileg darstellt.

Vor allem, wenn man am Einlassventil am Haupteingang der Freilichtarena vorbei zieht. Dort stehen Tausende und möchten Einlass. Wir dürfen einen Gäste-Spezialeingang rechts neben dem Haupteingang aufsuchen und bekommen ein kennzeichnendes Bändchen. Und bitte, gehen Sie hier entlang.

Schlagzeug im Fegefeuer von #Prisma

Das Storyboard des KIZ-Konzerts ist gewissermaßen zweigeteilt. Am Anfang des Konzerts steht eine endlose öffentliche Huldigung der vier besten Führer, die wir je hatten. Wir hatten ja nie (so) gute. Der sich solche Geschichten ausdenkt, großes Garn spinnt, heißt Beat Gottwald, er ist Beat The Rich, der Manager der Band, mit Hund Fred, einem Terrier, dessen Werbeeinspielungen zu sehen sind. Es fehlt ein herziges „Öff“ noch, dann wäre es nicht Werbung sondern Realität. Die Geschichten rund um die vier Bandmitglieder von KIZ spulen sich als Versatzstücke einer wild gemixten Weltgeschichte zusammen. Es geht um militärische Anleihen am großen Sowjetstern, ein bisschen Mao Tse Tung, aber auch Pferdefleisch-Hochzeiten am Ballaton. Nichts vorhersehbar: Wer diese Geschichten schreibt, hat einen gehörigen Knall. Und das lieben sie alle. Kurz wird der Vertragsabschluss von KIZ mit dem Management karikiert, der Vertrag einfach: Beat 80% – KIZ 20%. In Wahrheit ist er der fünfte Beatle der Band und liefert nicht gerade wenig, damit das fantastische Hip-Hop-Massaker so großen Erfolg hat.

Im Block vor dem Innenraum direkt vor der Bühne ist der schwarze Block abgeteilt für die geladenen Gäste einer Liste. Noch sind nicht alle Plätze belegt. Da schauen wir uns an: ER und ich und mich durchzuckt es und da ist dieser Gedanke. Ich kenne den. Er sieht mein Zucken und zuckt zurück. Er ist mit einer Frau da, nippt an einem Plastikbecher Bier zu 1,- € Plastikbecherpfand. Ich rufe ihm zu: „Sag mal, wir kennen uns, oder?“ Er sagt, er weiß es nicht, überlegt kurz laut: „Kennen wir uns vom Film?“ Sagt er. „Es kann auch Theater sein.“ – „Hast Du was mit Theater zu tun?“ – Und ich: „Nö, eher so mit Musik.“


1444/16: Positionen: KIZ Konzert 20.08.16 Freilichtbühne Wuhlheide – Kannibalen in Zivil

Nach einer schier endlosen Vorphase des Konzerts von KIZ, in der ich überlege, wann das Publikum aufbegehrt, kommen KIZ zur Hymne der Band „Kannibalen in Zivil“ auf die Bühne. Was nun folgt, braucht auch international keinen Vergleich zu scheuen. Es ist ein Feuerwerk der Hip-Hop-Extraklasse, das Publikum ist glücklich. Wie Karnickel geht das los. Schlag auf Schlag und nicht wenige texten munter mit. Dass man auch Sprechgesang falsch intonieren kann, ist seit gestern Abend bewiesen. Manche Zuschauer sind richtig durchgeknallt. Vier Ordner tragen einen Mann gegen seinen Willen die Treppe hoch, er bettelt: „Bitte, kann ich nur einen Satz sagen?“ Die Ordner wirsch: „Nö“. Sie tun ihm nicht weh, aber sie sind wildentschlossen, diesen durchgeknallten jungen Mann abzutransportieren. Er hat die Spielregeln einfach zu sehr verletzt.

Die Sache geht freundlich, hier und da lachend, scherzend hin und her zwischen uns und ich weiß nicht genau, wie jetzt dieses sich in Widersprüchen verfangende Hin und Her auflösen, das wie ein Wollknäuel zwischen uns hin- und herspringt. Ich wünsche noch ein schönes Konzert und verziehe mich ein paar Sitzreihen weiter. Der Rest, das Konzert, nimmt seinen Lauf. Die mit mir gekommen sind, dies Konzert zu sehen, sagen was von: „Das ist ein Schauspieler.“ Wir können es am Abend nicht mehr auflösen.

#KIZ #Wuhlheide #KannibalenInZivil

Am Sonntag früh werfen wir das an, das nichts vergisst und schauen im Internet nach „jungem Schauspieler“ und wie der Zufall es so will, ist er es auch. Die Bildersuche ergibt, es ist der junge Schauspieler Sebastian Urzendowsky, Jahrgang 1985, Berlin, mit dem ich mich unterhalten hatte. Er kennt mich tatsächlich nicht. Ich aber kenne ihn.

Mit einer Stretch-Limousine kommen die vier Musiker an. Marschieren in Uniform zur Bühne. „Die Führer kommen“, verkündet ein Moderator. Da muss man schon mal schlucken. Als nächstes sieht man riesige Statuen der Bandmitglieder im nordkoreanischen Stil. Man kommt aus dem Schlucken gar nicht heraus. Sätze fallen wie: „Berlin, willst du mir einen blasen?“ Johanna Ewald, Morgenpost, Link unten

Auf die Frage, ob Berlin dem KIZ-Gruppenmitglied einen blasen will, johlen 17.000 frenetische Fans ein gut hörbares „JAAAAAAA“. Man kann die Ausführungen der Morgenpost zusammenfassen zu: Wer blasen will, muss auch bereit sein zu schlucken. So geht die Provokation.

Sebastian hat in einem der für mich sehenswertesten Fernsehfilme mitgespielt: Paul is dead. Der Film ist aus dem Jahre 2000 und spielt im Jahre 1980 in einem ungenannt bleibenden Ort irgendwo in der deutschen Provinz. Bei genauerem Hinsehen entpuppen sich die Drehorte dieses Films in großen Stücken in die Berlin-Zehlendorfer Provinz; es ist ein Ortehopping in Berlin-Zehlendorf, das zugunsten der Filmhandlung aber beständig im Dunklen bleibt und nur dann verwirrt, wenn man am Drehort ortskundig ist. So ging es mir bei diesem Film, dessen Handlung kurz gesagt um den Themenkomplex „Paul is dead“ kreist. Paul McCartney soll tot sein und die Beatles haben Paul heimlich gegen einen Doppelgänger ersetzt. Der Radio- und Fernsehmoderator Alan Bangs (Rockpalast u.v.a.) spielt eine Rolle und Versatzstücke aus der Crime- bzw. Primetime der Beatles, frühe Aluhüte hören und sehen überall Anscheinsbeweise, wie z.B. auf dem Stück Strawberry Fields Forever, das, spielt man es rückwärts „I buried Paul“, im hinteren Teil des Stücks gesagt von John Lennon offenbart. Später entpuppt es sich als „Cranberry Sauce“.

#BeatTheRich

Beat Gottwald ist bekennender Beatlesfan. Deswegen verbindet sich die Geschichte des Paul is dead-Protagonisten mit dem Besuch der Wuhlheide auf wundersame Art und Weise zu einem gelungenen Handlungsstrang, der nebeneinander liegt und doch wie Zufall zusammengehört. Oder ist jemand empört?

An der Wohnsiedlung Krumme Lanke (Waldsiedlung) geht der Plot des Films entlang. Irgendwo in Stölpchensee springen die badenden Jungs von der Brücke. Helmut, der picklige Freund von Tobias, nimmt Cassetten für sie auf, um sie zu beeindrucken. In Zehlendorf Süd am Ladiusmarkt geht Sebastian als Tobias in eine Sparkassenfiliale und der „Schalterbeamte“ dort ist unfreundlich. Nebenan ist ein Tabakgeschäft.

#KIZ #Wuhlheide

Das kann man kaum leserlich verständlich vernünftig zusammenfassen. Was mich angeht, so ist dieser Film ein Hammelsprung in meine eigene Kindheit, gedreht an meinen Originalschauplätzen. Bis hin zum Fahrrad mit Bananensattel, der später auf die Liste der aussterbenden Tierarten gesetzt wurde. Ich habe mir den Film tatsächlich beim ZDF besorgt und gegen Bezahlung auf einen silbrigen Datenträger brennen lassen. Wenn ein Film, alters- und generationsbedingt für Kopfkino sorgt, dann dieser Film.

Sebastian Urzendowsky spielt den Titelhelden Tobias.

#KIZ #Wuhlheide

Am Ende des Konzerts erzählt der Song We Are The World in einer deutschen Fassung vom Hurensohn, dessen einziges Bestreben es ist, kein Hurensohn mehr zu sein. Das wird minutenlang zelebriert und weil wir uns noch an das Original gut erinnern können, genießen wir den Augenblick auch ein bisschen als Retromoment einer längst vorübergezogenen Pop- und Rockmusikepoche mit längst verstorbenen Protagonisten. Wir denken inzwischen, ein bisschen in die Jahre gekommen, dass heutzutage nichts mehr unmöglich ist. Alles ist eins, alles verbindet sich zu einem großen Ganzen, an dem eine nachgewachsene Generation von echten Strippenziehern gehörig schnürsenkelt, um verkäufliche Aktienpakete der großen deutschen Unterhaltung als die Erfindung des deutschen Humors zu zelebrieren. Genau so gut ging es auch den Besuchern dieses Ausnahmekonzerts, und später wackeln sie alle heim und die Wuhlheide ist aufgewühlt, nassgeregnet, pfützenreich und bierbempelvermüllt. Als Gäste des Veranstalters, dem wir dafür nochmals herzlich danken, schneien wir abschließend noch kurz zur Aftershow-Party hinter die Bühne und bitten KIZ-Mitglied Tarek, die Töchter nochmal an ihm lecken lassen zu dürfen. Er fragt: „Macht man das heute so?“

Dass ich Sebastian gestern beim Kannibalen in Zivil-Akt als vermeintlichen „alten Bekannten“ wiedererkannte, war irrig. Richtig ist aber, dass mich seinerzeit seine schauspielerische Leistung zutiefst beeindruckt hat. Ja, und offenbar sind wir daher „bros“ geworden, Brüder im Geiste, nur ist Sebastian viel viel jünger als ich. Mit nur wenigen Jahren Zeitdifferenz wäre Sebastian als Tobias tatsächlich ich gewesen und der ganze Spielfilm von Hendrik Handloegten ist so was wie die spätere, nachträgliche Verfilmung meines Lebens in Berlin-Zehlendorf.

Am Sonntag, den 21.08.2016 ist Hamburg dran und steht auf dem Spielplan von KIZ.

Danke, Sebastian Urzendowsky, ich weiß jetzt Bescheid. Du warst das. Wir kannten uns nicht. Auch wenn wir gewissermaßen „Brüder im Geiste“ gewesen sind, durch den Film „Paul is dead“. Ob ich, nachdem sich eine junge Schöne und ihr Freund mit mir unter einer Plastikplane stundenlang untergestellt hatten, um den Regen mit einer hochgehaltenen Plane weg zu halten, nun belobigt gefühlt haben sollte? „Sag mal, bist Du wirklich der Schlagzeuger von den Kassierern?“ Nö?

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