Fr. Apr 19th, 2024

Ich bin intensiv am Üben, dieses eine Stück muss ich sauber spielen können. Ich werde dich überraschen, versprach ich meinem Lehrer. Und ich spiele, blase, atme tief durch und schwitze. Hin und wieder höre ich mir das Stück auf der CD an, damit es im Ohr bleibt.

Um Erfahrungen zu sammeln, gehe ich in Konzerte. Den Saxophonspielern auf die Finger zu schauen, ein Gefühl für gute Musik zu entwickeln und das Zusammenspiel aller Musiker zu erfassen, ist enorm wichtig. Im normalen Leben kann man ähnliche Erfahrungen sammeln. Zum Beispiel beim Zahnarzt den Tönen der verschiedenen Bohrer lauschen und deren Stimmlagen unterscheiden lernen. Ein nicht unwichtiger Beitrag zur Gehörbildung, finde ich.

Gestern hatte ich einen Termin beim Zahnarzt, eigentlich nur zum Putzen, also zur Grundreinigung. Es kam anders: Etwas Faules fiel ihm auf, der Dentist machte sich sogleich mit einem Bohrer bewaffnet, einem der Sparte untere Stimmlage, tiefer Bass, an eine Art „frohes Schaffen“. Ihr versteht, einen der größten Bohrer. Weniger froh war daher ich! Auch wenn ich jetzt viel dazu lernen könnte, dachte ich, Engel singen hören möchte ich dann doch nicht. Es musste also die Spritze her.

Gut so, ich konnte völlig entspannt, dem Kabinettstück eines Bohrertrios folgen. Und während er so bohrte und rumpelte in meinem Mund, malte ich mir insgeheim  kleine Begleitsätze für Saxophon dazu aus.

Zu Hause wollte ich gleich aus dem Gedächtnis die Idee umsetzen.  Es war schrecklich, grausam, furchtbar, unfassbar – es war nicht anzuhören. Nicht nur weil kaum etwas zu hören war. Weil eben das, was hörbar wurde, eher einem Schweinegrunzen ähnelte. Das kann nicht an mir liegen, das Horn ist kaputt, waren meine Gedanken. Nach etwa 10 Minuten musste ich aufgeben. Jetzt erst merkte ich, bei mir ist was kaputt. Meine Lippe konnte gar keine Spannung aufbauen, die Narkose hielt noch immer an.

Üben konnte ich nicht mehr! Das Stück blieb verwaist, alleingelassen, unbeachtet.

Ein schlechtes Gewissen entwickelte sich langsam: zu dicke Lippe riskiert?

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Und die Moral von der Geschicht? Patienten auf dem Zahnarztstuhl glucksen, rappeln, die mit Blicken töten, selten aber nach dem Arztgang tröten! (Zusatz: die Redaktion)

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Weiterführend

Von Elke Pohl

Ein Gedanke zu „197/10: Saxuality: Dicke Lippe riskiert?“

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