Di. Apr 23rd, 2024

Banner Personen

Karl Johannes Schindler
Karl Johannes Schindler

Karl Johannes Schindler hat im Rahmen seiner Gesprächsreihe „Freunde des Yorckschlösschens“ den Berliner Saxophonisten Thomas Keller interviewt. Und damit wieder mal ein Stückchen Berliner Musikgeschichte aufgeschrieben.

Sein Name ist Programm und seine Fragen sind gefürchtet, denn sie kommen aus Mitkenntnis und nicht vom Hörensagen. Karl Johannes Schindler veröffentlichte als „Freund des Yorckschlösschens“ einen weiteren extrem diskreten Dialog. Er führte ihn mit Thomas Keller, lt. Karl Johannes Schindler „Pionier des Pop-Saxophones, Fetischist des Jazz und Pflaumenkuchens. Blackbirds.tv veröffentlicht den Dialog im Interesse einer weiteren, erfolgreichen Abbildung der Berliner Musikszene und dankt Karl Johannes Schindler sehr für die „geistige Führerschaft,  Führung und die damit bekundete, gleichzeitige Wahrnehmung „berechtigter Interessen der Berliner Musikszene“. Großartig. Die Redaktion!

***

K.J.S.: Du bist einer der angesagtesten Saxophonisten weit und breit. Dein Instrument wurde erst Mitte des 19. Jahrhunderts erfunden. Was hättest Du gespielt, wenn du früher geboren worden wärest?
Thomas Keller (Foto: Gudrun Arndt)
Thomas Keller (Foto: Gudrun Arndt)

THOMAS: Dann hätte ich mehr mit meinen Freun…den auf dem Schulhof gespielt, das ist während des ganzen Übens in der Kindheit zu kurz gekommen. Daher auch meine misanthropen Züge. Aber im Ernst, wahrscheinlich wäre es die Gambe oder das Cello gewesen. Die Tonbildung ist dem Saxophon sehr ähnlich, trotz Bogenstrichs.

K.J.S.: Du hast Musik an der Berliner HdK studiert. Ray Charles sagte mir mal: „Ein paar der großartigsten Musiker des Pop, Jazz und Blues sind deshalb so bahnbrechend, weil sie gar nicht wissen, wie akademisches Spielen funktioniert.“ Was kann der studierte Musiker, was der wilde nicht kann – und umgekehrt?

THOMAS: Wenn du mit Musik dein Geld verdienen willst, ist es ’ne gute Idee, zu wissen, wie das geht. Musik ist verdammt kompliziert und die Schattierungen unendlich vielschichtig. Du musst das einfach alles lernen, und das ist sehr harte Arbeit. Wo du das lernst ist eine andere Frage. Das kann auch im Jazzclub mit deinen Vorbildern geschehen.

K.J.S.: Also, was kannst du, das der „Wilde“ nicht kann?

THOMAS: Ich bin in der Regel wesentlich schneller in der Umsetzung von Aufgaben. Im Berufsalltag gibt’s vieles, bei dem die Uhr tickt. Und wenn ich jedesmal anfangen würde, mir eine Melodie erst vorsingen zu lassen, um sie dann mühsam nachzuspielen, wäre ich schon verhungert. Stattdessen musst du in Windeseile eine Tonart wechseln, weil die Sängerin Liebeskummer hat, oder eine Kadenz löst sich nicht gut auf, und die Studiouhr tickt weiter.

K.J.S.: Gute Ideen hingegen lassen sich nur sehr schwer antrainieren.

THOMAS: Ich bin kein Anhänger der Idee, Musiker könne man allein mit guten Ideen werden. Aus meiner Sicht ist beides nötig, Kreativität genauso wie solides Handwerk. Der „Wilde“ hingegen hat in der Regel den Vorteil, sich nicht so stark mit dem inneren Zensor ‚rumschlagen zu müssen.

K.J.S.: Neben dem Saxophon widmest du dich dem Komponieren, hast zum Beispiel die „Linie 1“ des Grips-Theaters mitgeschrieben und damit einen Siegeszug rund um den Globus angetreten.

THOMAS: „Linie 1“ war ein Riesenglück, das muss ich dankbar sagen. Vor allem ein Erfolg des Autors Volker Ludwig und des Musikers Birger Heymann. Die Band hatte das Glück, an der Entstehung, der Komposition und den Arrangements der Musik beteiligt zu sein. Ich war 21 und hab‘ überhaupt nicht begriffen, was da abgeht. Niemand hat es geahnt, aber so ist es wohl mit „Treffern“: Man kann sie nicht planen. Das Schlimmste ist , wenn man versucht, es im Nachhinein zu verstehen, um es zu wiederholen. Das ist nun 25 Jahre her, das Jubiläum feiern wir dieses Jahr mit einer großen Gala, da auf den Tag genau auch die 1.500.Vorstellung im Berlin stattfindet. In Seoul ging letztes Jahr die 4.000. über die Bühne. Weit über drei Millionen Zuschauer weltweit.

K.J.S.: George Kranz, Ulla Meinecke, Alphaville und ungezählte Pop-Studioproduktionen riefen ebenfalls nach dir. Dennoch scheinst du dich im traditionellen Jazz am wohlsten zu fühlen. Was ist das Geheimnis?

THOMAS: Als ich Anfang der 80-er angefangen habe, Musik zu machen, war das Saxophon „das“ Modeinstrument. In West-Berlin gab es kaum jemanden, der es als Pop-Instrument spielte, das war mein „Alleinstellungsmerkmal“. George Kranz hatte damals bei seinem Hit DinDaaDaa die Phoenix Horns von Earth, Wind & Fire beschäftigt. Aber die waren auf Dauer zu teuer. Da hat er mich gefragt. So hab‘ ich ihn und Ulla Meinecke kennengelernt, bei der er damals Schlagzeug spielte. Alphaville war auch in diesem Dunstkreis zu treffen.

K.J.S.: Den Jazz hast du bei allem aber nicht vernachlässigt.

THOMAS: Gleichzeitig habe ich damals schon im Yorckschlösschen Jazz gespielt, sonntags mit Coco Schumann. Als Kind hatte ich die „Dutch Swing College Band“ im TV gesehen. Mich hat dieser Swing einfach überwältigt. Ich weiß nicht warum, ganz ehrlich, keine Ahnung. Ich habe jedenfalls heute noch das Gefühl, wenn ich „alte“ Jazzstile spiele, nach Hause zu Muttern zu kommen, und gleich gibt’s Pflaumenkuchen…

K.J.S.: Pflaumenkuchen…

THOMAS: Für mich drückt ein alter Jazzsong „Frieden in der Form“ aus. Da ist die Welt in Ordnung. Gleichzeitig kommt durch die Improvisation die Freiheit. Form und Freiheit, nichts geht ohne das andere. Eigentlich bin ich ein stinkkonservativer Mensch im hoffentlich besten Sinne des Wortes

K.J.S.: Art Blakey begründete seine Liebe zum Jazz so: „Ich bin kein Heuchler, ich mache Fehler auf der Bühne. Und meine Fehler sind laut. Aber das ist der Spaß an der Musik.“ Ein Berliner Philharmoniker muss da anders denken.

THOMAS: Eine Freundin ist Geigerin bei den Philharmonikern. Wenn die einen Fehler im Konzert macht, ist zu Hause der Teufel los. Aber auch sie hat eine bedingungslose Liebe zur Musik und einen Mordsspaß dabei. Ich kann falsche Töne nicht ausstehen, aber ich bin ein Freund des Risikos. Roger Radatz sagt: „Wenn du nicht mindestens einmal am Abend die Bühne in Schutt und Asche legen willst, brauchst du erst gar nicht ‚raufzugehen.“ Doch die Weise, wie das geschieht, kann sehr subtil sein, und mit Fehlern und falschen Tönen hat das nichts zu tun. Wohl aber mit einem künstlerischen Lebensrisiko, da hat Art Blakey recht.

K.J.S.: Apropos Roger Radatz: Du bist Bestandteil der gefeierten „Roger & The Evolution“. Roger hat beschlossen, damit nur noch im Berliner Yorckschlösschen zu gastieren. Kannst du das nachempfinden?

THOMAS: Roger hat soviel in seinem Leben gespielt und hervorragende Arbeit geleistet, dass er es menschlich überhaupt nicht verdient hat, sich von inkompetenten Agenturen, schlitzohrigen Veranstaltern und bekloppten Technikern verarschen zu lassen. Das nehme ich für mich gleich mal mit in Anspruch.

K.J.S.: Was ist denn im Yorckschlösschen so anders?

THOMAS: Dort wirst du als Musiker auf Händen getragen, zumindest im Rahmen dessen, was der Laden leisten kann. Das ist zwar nicht viel, technisch oder materiell gesehen, aber der Spirit und die Unterstützung des Chefs Olaf Dähmlow und der gesamten Crew ist weit mehr als 100 Prozent. Vom einzigartigen Publikum ganz zu schweigen. Wenn Roger dort einen Termin hat, lass‘ ich mich woanders möglichst vertreten. Pflaumenkuchen bei Muttern…

K.J.S.: Als Komponist weißt du, dass die GEMA mit der Sicherung deines Lebensunterhalts beschäftigt ist. Zugleich macht dieser Verein mit seinen Forderungen sehr gern mal Live-Musik-Clubs kaputt. Was ist zu tun?

THOMAS: Die meisten Menschen der GEMA-Verwaltung kommen aus einer anderen Zeit. Es existiert bis heute kein vernünftiger Gedanke zum Internet und zu Tauschbörsen. Sie glauben, das verbieten zu können und belegen nun Kindergärten mit Gebühren für das Kopieren von Liedzetteln…

K.J.S.: …wofür sie eigentlich vor Gericht gehören.

THOMAS: Denen ist auch die Lebensrealität der meisten Musiker nicht klar. Solange im Vorstand hoch dotierte Komponisten der deutschen Fernsehlandschaft sitzen, die ihre Schäfchen per Satzung ins Trockene bringen, kann man sich von dem Gedanken, die GEMA sei eine soziale Einrichtung für Musiker, komplett verabschieden. Die Idee ist eine urkapitalistische, und manchmal fressen sich solche Ideen selber auf. Übrigens lebe ich trotz allem sehr gern in der freien Marktwirtschaft, damit jetzt keine Missverständnisse aufkommen.

K.J.S.: Ich weiß gar nicht, ob Gesine Lötzsch Jazz mag.

THOMAS: Die GEMA brauchen wir nicht mehr. Zunächst wird vermutlich das Monopol fallen, und alternative Verwertungsgesellschaften werden kommen. Wir sollten daran arbeiten.

K.J.S.: Was möchtest du noch loswerden, bevor ich dir für dieses aufschlussreiche Gespräch vielmals danke?

THOMAS: Ich möchte dir sagen, dass ich deine intellektuelle Schärfe und dein geschliffenes Wort bei Facebook außerordentlich schätze.

K.J.S.: Ich danke dir für dieses aufschlussreiche Gespräch vielmals!

THOMAS: Ebenso. Vielen Dank und auf bald

2 Gedanken zu „403/11: Personen & Porträts: Karl Johannes Schindler im Gespräch mit Thomas Keller, Saxophonist!“

Schreibe einen Kommentar

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.