Di. Mrz 19th, 2024

Kerze (animiert)

„Danke, H.p.! Wenn ich mal dran bin, wünsche ich mir auch einen Nachruf von Dir!“ (Norbert Hähnel aka „Der Wahre Heino“ auf facebook in der Gruppe „Die Suuhrbiers“ zur Veröffentlichung des Nachrufs)

Er war „Käptn Suurbier“. Sein Verhalten verbuchte man unter „Punk“

Fußball oder Rock ’n‘ Roll – als die einzigen Wege um rauszukommen? Aus Enge und Beklemmung. So jedenfalls wird es manchmal gesagt. Von einer bestimmten Art von Romantikern, wie auch Michael Wahler einer war. Fußball und Rock ’n‘ Roll als Ausweg aus unglücklichen Verhältnissen. Frust und Ängste wegballern. Rausballern.

Michael Wahler war ein guter Fußballer und ein hübscher Junge. Sportlich, drahtig, wendig, schnell. Er stammte aus wohlhabenden Verhältnissen. Vater Wahler, der „Herr Doktor“, hatte eine erfolgreiche Firma für Fahrzeugbau, die Familie lebte nobel im gediegenen Frohnau – gleich um die Ecke von Reinhard Mey, den Micha verehrte, dessen Lieder er mochte. Micha ging aufs Gymnasium in Hermsdorf, machte Abitur. An Geld hat es nicht gefehlt. An etwas anderem vielleicht. Wärme? Liebe? Anerkennung?

Der patriarchalische und jähzornige „Herr Doktor“, der Rilke und Mörike schätzte, schrieb in seinen ruhigen Momenten selber Gedichte und sorgte sich um das Fortkommen seiner Söhne. Auf seine eigene strenge unerbittliche Weise, wie das ein Patriarch so tut. Er hätte seine Jungens gerne in seine Firma eingebunden, zu seinen Nachfolgern gemacht. Aber die waren ja mehr dem Künstlerischen zugeneigt. Wie er mit dem jovialen Unterton einer gewissen Anerkennung, aber auch ein wenig resigniert konstatierte.

H.P. Daniels
H.P. Daniels

Unter den strengen Augen des Herrn Doktor mussten die Jungs auch ein bisschen an der Kandare gehalten werden. Weswegen er die Kinder in seinen weniger ruhigen Momenten schwer vertrimmte. Immer wieder. Und die Mutter gleich dazu. Nachdem Mutter Wahler vor dem aufbrausend gewalttätigen Mann aus dem Haus geflohen war, und die Jungs sich allein überlassen waren, bezog Micha oft doppelt Prügel. Weil der Vater ihm aufgetragen hatte, auf den jüngeren Bruder Axel aufzupassen. Dass der keinen Blödsinn machte. Was Micha nicht verhindern konnte. Also bekam er Nachschlag. Eine zusätzliche Portion Schläge vom Vater.

Micha Wahler hätte es weit bringen können im Fußball. Wenn ihn nicht widrige Umstände bei seinem geliebten Verein VfB Hermsdorf – ein neuer Trainer, Unstimmigkeiten, irgend etwas – was man heute nicht mehr genau weiß – seine hoffnungsvolle Fußballerkarriere hätten beenden lassen.

Suurbier-Artikel aus SPEX 11/83

(Quelle: SPEX 11/83) Konzertkritik zum 1. Berliner Oktoberfest (01.10.1983 Berlin, Tempodrom) mit Die Ärzte, Die Mimmi’s, Die Toten Hosen und FRAU SUURBIER

Vielleicht war die Ära von Punk, Do-It-Yourself-Attitüde und neuem Aufruhr genau der richtige Zeitpunkt, sich aktiv dem Rock ’n‘ Roll zuzuwenden, Musik zu machen, eine Band zu gründen. Endlich alles zusammenzurühren, was Micha rührte und bewegte, Gegensätze und Widersprüche aufzulösen in Musik: Rockabilly der Fünfziger – Gene Vincent und Jerry Lee Lewis, Beat der Sechziger – Beatles und Beach Boys, Punk der Siebziger – Ramones, Wreckless Eric, Jonathan Richman. Humor und Sprachwitz, deutsche Texte, Spaß und Melancholie, Kalauer und Ernsthaftigkeit, Ironie und Geradlinigkeit, Teenagerfrust und Romantik. Michas ungestümes Wesen, seine Explosivität und seine weiche Ader. Die Seelenverwandtschaft mit dem Vater und den extremen Konflikt mit dem übermächtigen Mann, in dessen Gegenwart der großmäulige Micha immer ganz still wurde. Die Sehnsucht nach der abwesenden Mutter. Den kleinen Alltag und die große Liebe. Wenn sich Micha verliebte, dann gab es für ihn nur Alles oder Nichts. Haut und Haar. Die ganz großen Gefühle. Die ihm dann aber auch gleich wieder Angst einjagten. Das Dilettantische und Geschliffene. Ergreifende Melodien und atemberaubender Rhythmus. Und ein bisschen deutsche Schlagerseligkeit. Eine Brücke von Hans Albers zu Rio Reiser.

Nach einem Sketch von Otto Waalkes nannte Micha Wahler seine Band „Frau Suurbier“, später „Die Suurbiers“. Und wie bei den von ihm verehrten Ramones bekamen alle Bandmitglieder denselben Nachnamen: Tom Suurbier, Hans Suurbier. Käptn Suurbier – das war Micha. Mit seinem außergewöhnlichen Stil wurden er und die Suurbiers zum Vorläufer des deutschen „Fun Punk“. Wegbereiter für Die Ärzte, Die Toten Hosen, Die Goldenen Zitronen und etliche andere. Bands, die es schließlich zu größerem Ruhm bringen sollten als der Käptn. Einige der später so Erfolgreichen waren zunächst selber Suurbiers: Dirk Felsenheimer alias Bela B. und Hans Runge alias „Sahni“, beide schwer erfolgreich mit den Ärzten, Wölli Rhode bei den Toten Hosen. Und Michael Beckmann bei den Rainbirds.

Ende 1982 entstand dann die erste Vinyl-Veröffentlichung auf dem neu gegründeten Berliner Label Schnick-Schnack (später Vielklang), das von Mitgliedern der Band Panzerknacker AG gegründet wurde. (aus #Wikipedia, Link unten)


30.12.84 West-Berlin, Ballhaus Tiergarten mit Die Toten Hosen, Der wahre Heino, Die Suurbiers & Serious Drinking!

Dass der Käptn, was Erfolg, Ruhm und Reichtum anbelangte, weit hinter den großen Stars zurückgeblieben ist, schien ihn nicht zu stören. Er freute sich über den Durchbruch der anderen. Und machte sich immer auch ein bisschen lustig darüber. Über die Ärzte im Lied „Wie ein Kind“. Dem Song „Grace Kelly“ der Ärzte folgten die Suurbiers mit „Petra Kelly“. Aus „Blueprint“, dem Hit der Rainbirds, machte Käptn Suurbier mit seiner Zweit- und Spaßband „Partykillers“ eine witzige Version mit deutschem Text: „Ich schleiche um die Ecke … wie ne Schnecke…“

Und immer beharrte er mit trotzigem Stolz auf dem eigenen „Amateurstatus“. Dabei war er ein überaus professioneller Songschreiber, mit einer Gabe für pfiffig eingängige Melodien und originelle Texte. Ein energiegeladener Sänger und ein ausgezeichneter Rhythmusgitarrist mit einer rasant charmanten Bühnenpräsenz. In seiner Haltung immer unbeugsam und kompromisslos. Und immer auch ein bisschen wahnhaft. Ein bisschen irre. Ein impulsiver Draufgänger, der sich von nichts und niemand etwas gefallen ließ. Und der sich dadurch immer wieder in Schwierigkeiten brachte, was ihm eine Menge Schrammen und schwerere Verletzungen eintrug. Innere wie äußere Wunden. Die auch, wenn man genau hinhörte, gelegentlich durch seine lustig verpackten Song-Texte hindurchschwärten.

Sein unberechenbares Verhalten verbuchten die Freunde unter „Punk“. Ohne vielleicht eine Krankheit dahinter zu erahnen. Wenn er, wie sein Vater, cholerisch aufbrauste, sich nicht mehr zu kennen schien. Einmal hat er einen Rocker angepöbelt, der ihn daraufhin zusammenschlug. Schwer blutend und schon am Boden ließ sich Micha seine große Klappe dennoch nicht nehmen: „Na und? Biste stärker? Dann schlag doch noch mal zu! Biste stärker? Na und?“ Angst – jedenfalls in derartigen Situationen – kannte Michael Wahler nicht. Er schmiss sich überall rein und dazwischen. Er ließ sich nichts gefallen, ging keiner körperlichen Auseinandersetzung aus dem Weg, und musste wegen unzähliger Blessuren immer wieder Tourneen der Suurbiers absagen.

Dabei war der Käptn eigentlich ein wertkonservativer Mensch: SPD-Wähler, Tagesspiegelleser, zurückhaltend, bescheiden, ordentlich. Und immer achtete er penibel darauf, dass die Suurbiers ihre Backstage-Räume nach den Konzerten aufräumten, dass sie die Garderoben so verließen, wie sie sie vorgefunden hatten. Und auf Pünktlichkeit. Und dass sie auch immer im typischen Suurbier-Look erschienen: mit bunten Hemden und diesen weiten Bollerhosen, deren Bund Bund überm Bauchnabel saß und von breiten Hosenträgern gehalten wurde.

Doch wenn die Gefühle zu stark wurden – die negativen wie die positiven – dann wurde alles zu viel für ihn, dann wurde er unruhig, aufbrausend, explosiv wie sein Vater. Und stand sich selbst und allen anderen im Weg. Ein Leben zwischen himmelhoch jauchzender Begeisterung und tiefer Niedergeschlagenheit, Zurückhaltung und nervöser Hochspannung.


Frau Suurbier

Und wehe, wenn jemand einen seiner Freunde angriff. Da warf sich Wahler sofort beschützend dazwischen. Ein Freund sagt, er werde nie vergessen wie ihm Micha bei einer Schlägerei in Kreuzberg das Leben gerettet hat. Und wehe dem, der Käptn Suurbiers musikalische Idole beleidigte.

Einmal war er mit Kumpels beim Skifahren. Abends in der Disco ging Wahler zum DJ: „Ey, spiel doch ma watt von Gene Vincent!“ Der DJ: „Tote Sänger spielen wir hier nicht!“ Und ZACK! schon hatte er eine sitzen. Dann: DJ-Pult kaputt, Platten kaputt, Party beendet. Und der Käptn und seine Berliner Freunde auf der Flucht. Alles zur Verteidigung von Gene Vincent und der Ehre des Rock ’n‘ Roll.

Wahler schrieb Unmengen neuer Songs, auf ganze 135 würde er es insgesamt bringen, doch die Suurbiers veröffentlichten nur 16 davon. Mal einen Beitrag auf einem Sampler mit anderen, eine Live-Cassette, eine Mini-LP. Als der Käptn die deutsche Wiedervereinigung und den damaligen Währungsumtausch 2 Ostmark für eine D-Mark auf seine eigene witzige Art kommentierte mit einem neuen, von den Beach Boys inspirierten Song „Zwei Boys für jedes Girl“, bekam seine Musikerkarriere wieder Aufwind. Bei der Polydor lag schon der Plattenvertrag bereit, eine größere Tournee der Suurbiers war gebucht.

Aber dann, im Taumel überschwänglicher Gefühle, hat Wahler wieder alles vergeigt. Als der damalige Polydor-Labelchef und Suurbierförderer, der heutige Berliner Kulturstaatssekretär Tim Renner, mit ein paar Minuten Verspätung zur Verabredung vor dem Record-Release-Konzert auf der Insel der Jugend auftauchte, ging ihm ein völlig aufgelöster Wahler wutschnaubend an die Kehle, würgte den Plattenfirmenmann und schrie ihn an: „Um acht waren wir verabredet! Nicht um zehn nach!“ Die Mitmusiker entschuldigten sich: „Unser Bandleader ist etwas impulsiv.“ Aus dem Plattenvertrag wurde nichts. Und wieder eine Tour abgesagt. Micha Wahlers Katastrophenjahr 1991.

Es war das Jahr, in dem sich sein jüngerer Bruder das Leben nahm. Axel, auf den aufzupassen er sich immer verpflichtet gefühlt hatte, und mit dem ihn so viel verband: Die gemeinsame Trauer um die fortgegangene Mutter, der Zusammenhalt gegen den übermächtigen Vater, die gemeinsame künstlerische Ader und noch so vieles mehr. Der Tod des kleinen Bruders überstieg seine Kräfte. Er hatte nicht gut genug auf ihn aufgepasst, dachte er. Und die Schuldgefühle zernagten ihn. Den Freunden erzählte er: „Seit seinem Tod hab ich das Gefühl, ich lebe in einem Film, für den Axel das Drehbuch geschrieben hat!“ Und wie schrecklich es sei, wenn man seinen eigenen Gedanken nicht mehr trauen könne, wenn man nicht mehr so richtig wisse, wer man eigentlich ist.

Wahler schrieb weiter Songs, machte Studioaufnahmen mit wechselnden Suurbiers, für die er zunehmend schwieriger wurde im Umgang. Und dazwischen immer wieder Klinikaufenthalte. Es ging rauf und runter. Und wieder rauf und wieder runter. Tolle Studioaufnahmen und furiose Konzerte wechselten mit Phasen schwerer Niedergeschlagenheit. „Bipolare Persönlichkeitsstörung“ diagnostizierten die Ärzte, möglicherweise geerbt vom Vater. Sie gaben ihm Lithium, was ihm das Leben erträglicher machte. Wie auch der Alkohol, den er nun in erhöhten Dosen zu sich nahm. Und der im Mix mit Lithium verheerend wirkte. Nie hatte Micha in seinem Leben vorher Drogen genommen. In seinem „Kifferlied“ hatte er sich noch über die Trantütigkeit der Kiffer lustig gemacht – der sportliche dünne drahtige Micha von einst, der inzwischen etwas aufgedunsen und behäbig wirkte.

Wenn er auch bei seinen Soloauftritten immer noch eine gewaltig wabernde Energie freisetzen konnte. Fühlte er sich dann wieder gut und auf der Höhe, befeuert vom Zuspruch seiner treuen Fans, kam er mit dem Glücksgefühl auch wieder nicht klar. Und beging den fatalen Fehler, das Lithium abzusetzen, und brachte damit wieder alles durcheinander. In seinem Kopf, in seinem Leben.

Niemand weiß, was er dachte, als er am Valentinstag, dem 14. Februar 2014, seine winzige Einzimmer-Neubauwohnung am Richard-Wagner-Platz verließ. Ob er, der einst so akribische Planer, einen festen Entschluss gefasst hatte? Ob er vielleicht zum Arzt wollte? Wieder in die Klinik? Oder einen seiner alten Freunde besuchen, als er zur U-Bahn ging. Oder ob er sich mit der festen Absicht auf den Weg gemacht hatte, vor den Zug zu springen.

H.P. Daniels

Ungekürzte Originalversion f. den Nachruf im Tagesspiegel v. 08.08.14: http://www.tagesspiegel.de/berlin/nachrufe/michael-wahler-geb-1962/10304832.html

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