Do. Mrz 28th, 2024

Sitze hier im Thairestaurant Elephant, Fasanenstr., Berlin und befinde mich in bester Gesellschaft: der beste Rockbassist der Welt, Tony Levin, stärkt sich am Nachbartisch für das Konzert um 22 uhr im Quasimodo. Dass er nach Hot Sauce fragt, ist nicht verwunderlich.“ (TwitterTweet von Tommy Tulip, 06.04.2010 – 20:53 Uhr)

Ja, das Restaurant Elephant, unmittelbar gegenüber vom Quasimodo, hat auf Nachfrage „hot sauce“ zu bieten. Und so’n heißer Bassist wie Tony, dem ist die thailändische Küche in ‚european style‘ eben etwas zu ‚unheiß‘ – was die Bassgrooves allerdings angeht, benötigen diese in der Regel keine Hot Sauce  obendrauf. Viele davon sind weltberühmt geworden. Dass Terry Bozzio ‚woanders was isst‘, sagt Tony Levin mir auf meine Frage hin, und das wiederum war zu bedauern. Allerdings lautet eine goldene Regel des Paparazzi-Journalismus: Stör Künstler nie beim Essen vor dem Auftritt, das geht schief.

Gestern, am 06.04.2010 fand  ein bereits seit längerem hier angekündigtes Konzert der Meisterklasse statt. Es gaben sich die Ehre:

  • Tony Levin, Bassist
  • Terry Bozzio, Schlagzeuger
  • Allan Holdsworth
  • Pat Mastelotto

Man muss schon den Mut bewundern, den das Quasimodo mit diesem illustren Quartett von Gott begnadeten Musikern an den Tag legt. Denn was geboten wird an einem solchen Abend, das ist alles andere als „billiger mainstream“. Mit der Veranstaltung dieses Konzerts von vier Weltklassemusikern festigt das Quasimodo seinen Ruf als äußerst bedeutender Spielort in Berlin, der seinesgleichen sucht. Das Quasimodo hat im „Spielkeller“ nur einen Fehler: es ist an solchen Tagen zu klein, etwa 350 Zuschauer und der Laden ist voll. Und wie voll. Ausverkauft.  Gestern Abend.

Bozzio, Levin, Holdsworth, Mastelotto
Bozzio, Levin, Holdsworth, Mastelotto

Zu den bislang niemals veröffentlichten Geheimnissen der Rock- und Popjournaille zählt die Sage vom gefärbten Bart eines Tony Levin (Jahrgang 1946), die im Vergleich zur widerlichen Behauptung, Ex-Bundeskanzler Schröder färbe sich das Deckhaar, so unwichtig ist wie ein Klops. Denn ob Tony Levin einen ordentlich gefärbten Bart besitzt oder nicht, das ist in etwa so wichtig, wie die Sache mit dem Reissack in China. Er zählt nämlich zu den Größten seiner Zunft, wobei allerdings die Körpergröße nicht nachgemessen wurde.

Er ist von schlanker, hochgewachsener Statur und an der Stelle, wo früher das Haupthaar saß, glänzt jetzt eine weithin gut sichtbare Glatze. Unterhalb der Nase trägt Levin den fraglichen Bart und außerdem, so scheint es, spielt sich weit mehr noch viel weiter unterhalb des Barts ab. Es sind die Finger des Herrn, die ihn zu einem Besonderen seiner Zunft machen, und man kann berechtigterweise vermuten, dass diese vom Kopf gesteuert sind, womit wir wieder etwas oberhalb angelangt sind. Außerdem kommen die Finger etwa auf Nasen- und auf Augenhöhe zurück, je nachdem, welches Instrument der Herr umschnallt. Mal ist es Upright-Bass, Marke Stehtisch, Fabrikat unbekannt, dann ist es ein Chapmann-Stick und immer wieder wechselt Levin die Saiten.


Bozzio, Levin, Holdsworth, Mastelotto – Live @Quasimodo 06.04.2010 (Berlin) – via Youtube

Links neben ihm steht auf der Bühne eine Art technischer Supergau herum. Allerdings von edler Art. Die Becken dieser „Schlagwerkstatt“ (Schlagzeug wäre wohl Untertreibung) stammen von der Firma Sabian, für die Terry Bozzio Endorser ist. Vermutlich ist er ein teurer Endorser, der Stückzahl der Becken nach zu urteilen. Ein Terry Bozzio, das ist kein „Billiger“. Mancher Zuschauer fragt sich, ob die Unzahl der Snares, Bassdrums, Becken, Toms nicht etwas übertrieben ist? Nein, das ist es nicht. Denn erstens hat das einen unbestreitbaren Vorteil: Wer an einem Schlagzeug sitzt, dass wie das von Terry Bozzio aufgebaut ist, der kann weder danebenhauen, noch danebentreten. Überall ist irgendwas, was Töne von sich gibt. Wir erinnern noch die Schlagzeuglegende Carl Palmer (Emerson, Lake & Palmer) und seine fulminante Art, Schlagzeug zu zelebrieren, aber unbestreitbar ist Terry Bozzio sowas wie die Reinkarnation des Trommlerischen. Er hat in puncto Schlagzeuggröße einen neuen Maßstab gesetzt. In Sachen Schlagzeugspiel gilt nichts anderes.

Wieder etwas weiter links steht Allan Holdsworth, der Gitarrist. Er hat sich seiner schwarzen headless-Gitarre verschrieben, das ist eine Gitarre ohne die übliche Kopfplatte, an der die Wirbel dran sind, die Saiten werden andersrum durchgezwickelt. Das tut der Funktionsfähigkeit der Gitarre keinen Abbruch.

Ganz rechts und damit auf der anderen Seite hat sich Pat Mastelotto aufgebaut, er sitzt im 90°-Winkel zum Publikum. Er spielt ein -sagen wir- übliches Drumset, ergänzt nur von einigen elektronischen Gimmicks.

In puncto Auffälligkeit und Bühnenpräsenz ist das ganze Programm auf die beiden Superstars Tony Levin und Terry Bozzio zugeschnitten. Dass die Mitmusiker sozusagen die „schönste Nebensache der Welt“ sind und auch mit auf der Bühne stehen, ist richtig. Die Beurteilung ist auch ungerecht, aber weiß Gott nicht zu ändern. Denn im Moment des Konzerts sind die Augen der Zuschauer in mehrheitlicher Weise auf den beiden Epigonen der Rockmusik Bozzio und Levin gerichtet. Wenn Augen schauen können, was nicht ganz einfach ist, denn es ist rappelvoll im Quasimodo.

Durch das Programm führt keine sichtbare Playlist, die wie bei anderen Gigs im Quasimodo, hand- oder maschinengeschrieben als Flowchart vor den Musikern auf dem Bühnenfußboden liegt. Das Programm der Band ist es, kein Programm zu haben. Kein Konzert ist wie das andere und was gespielt wird, entscheidet der Augenblick und ein ganzer „Arsch erlebtes Musikerleben“. Es sind Grooves, Mantras, ethnische Klänge, schräge Jazzkadenzen schräg drüber eingestreut wie braunfarbener Kakaonebel auf weicher, weißer Schokolade, hinzu treten Paragleiter von Rhythmusgruppen, Ostinatos. Whow.

Eines der vielen Geheimnisse, die blackbirds.tv an diesem Abend recherchierte, ist die Mischung von Zuschauern. Wir haben wild herumgefragt, Löcher in den Bauch und auch nervige Wiederholungen, sobald wir fürchteten, eine angemessene Antwort blieb aus. Im Publikum fast jeder auch aktiver Musiker. Einige sind weitgereist, aus Polen kommen Vater, Mutter, Tochter, aber sie kommen, weil Vater es will. Er findet Allan Holdsworth toll an der Gitarre. Ein 25-jähriger Schlagzeuger meint, er spiele mehr so „commercial stuff“, aber in Sachen Fortbildung sei der Besuch von Terry Bozzios drumbattle unverzichtbar.

Dann treffen wir Felix Lehrmann, der schon mit Terry Bozzios zeitweiligem Wegbegleiter Steve Vai (auf der Musikmesse), aber auch mit vielen anderen Acts getrommelt hat. Da musste er einfach hin, meint Felix im Zwiegespräch. Wir treffen auch Lutz Halfter, der als rund 15 Jahre zuständiger Schlagzeuger der Berlin-New Yorker Soul- und Jazzlegende Jocelyn B. Smith hinter dem Schlagzeug saß: Die Band hieß „The Married Men“. Lutz Halfter ist immer noch ein sehr gefragter Schlagzeuger in Berlin. Aktuell arbeitet er mit Andreas Hommelsheim (blackbird-Productions, blackbirdianischer Bruder im Geiste!) an einer neuen Produktion.

Man sieht, das Konzert, das war eine superrichtige Entscheidung, dem Quasimodo wieder mehr Geltung zu verschaffen in der musizierenden Welt. Gestern, das war ein richtiger Anfang. Parallel zu solchen Highlights von Weltniveau arbeitet das Quasimodo mit Verve an der Doktrin, dass die vor vielen Jahren abgeschafften Sessions mit lokalen Musikergrößen wieder Bedeutung erhalten. blackbirds.tv wird darüber einmal gesondert berichten.

Der Abend war einfach nur sau gut. Dem Quasimodo ins Gebetsbuch: Das war was, das kann man wiederholen. Mehr davon, bitteschön!

4 Gedanken zu „88/10: Gigs, Review: Im Quasimodo Berlin musizierten Terry Bozzio, Tony Levin und das war Hot Sauce!“
  1. Na ja, offenbar muß man aufgrund der namhaften Protagonisten das Konzert einfach „saugut“ finden. Man will ja schließlich nicht als Kulturbanause oder ahnungsloser AOR-Durchschnittstyp gelten. Ich durfte mir gestern abend das improvisierte Konzert in Ludwigshafen anschauen, und meine Meinung ist da eher verhalten. 2 Sets à 40 Minuten ohne Zugabe sind zunächst mal äußertst dürftig, wenn man die Mühe berücksichtigt, die der Aufbau des Equipments gekostet haben muß.
    Weiters hat es unerträglich lange gedauert, bis die Mannen mal „aus dem Quark“ kamen. Und waren sie da mal draußen, sind sie kurz darauf wieder darin versunken. Endlose Klangzaubereien – nicht uninteressant nebenbei – aber langweilig wechselten sich mit einigen heftigen Percussionduellen zwischen Bozzio und Mastelotto ab. Das Zusammenspiel war unbestritten gut (v.a. für Improvisationen, wenn es denn tatsächlich welche waren) ebenso die Virtuosität der Musiker. Alles in Allem war es doch aber eher enttäuschend, ein bissl mehr Gas hätte dem Abend nicht geschadet.
    Grüße aus LU
    Jürgen

  2. Danke, Jürgen, aus Ludwigshafen. Auch eine Art, es so zu sehen. Aber es stimmt: die Sache ist äußerst experimentell, und wer hat schon jeden Abend Lust auf Experimente?

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