Do. Mrz 28th, 2024

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Ich habe weder Betriebswirtschaft noch Marketing studiert, sondern bin gelernter Feingerätemechaniker. Die Musik ist aber mein Leben und das verbringe ich seit meinem 12. Lebensjahr in der Firma Thomann. Mein Vater hat mir früh die Leitung des Unternehmens übertragen und mir den wertvollen Tipp mit auf den Weg gegeben, immer auf die Kunden zu hören und von ihnen zu lernen. (Hans Thomann, Vorstellung, hier)

Im Grunde ist das Rennen entschieden. Die Sache ist gelaufen.

Gewonnen haben für einen Zeitraum von zehn, zwanzig Jahren die großen Onlineversender.

Das boomende Geschäft mit dem Onlinehandel macht die Menschen nicht insgesamt glücklicher, sondern dümmer und flacher. Schreiende Schuhkäufer (Zalando) gelten als großartige werbewirksame Ikonen. Man kann nur hoffen, dass Musiker anders sind. Den Versuch, uns zu perfekten Schuhkäufern im übertragenen Sinne zu machen, erleben wir bereits. Dafür gibt es jetzt sensationelle „Bundles“. Wow.  Aber wirklich große Erlebnisse im Einzelhandel sind dafür nahezu weggebrochen: Von Haptik kann niemand mehr sprechen. Das Einkaufserlebnis, in einem gutsortierten, angenehm duftenden Laden zu gehen, Dinge anzufassen und zu „begreifen“, ob wir etwas wirklich benötigen, ist dem Flatscreen gewichen. Zweidimensional gehen wir einkaufen. Per Mausklick, am Schirm.

Noch sind die entscheidenden Schlachten im Netz nicht geschlagen. Google Nose: Das Riechen am Parfüm bzw. am Satz Saiten. Google Glass, das mehrdimensionale Schauen, Scannen und nötigenfalls das Verpixeln von Privatsquäre, all das steckt noch in den Kinderschuhen. In der Zwischenzeit sind diejenigen groß und fett geworden, die zur richtigen Zeit den richtigen Riecher hatten.

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Markus Leuthel in der Spezialistengruppe:Musikerwitze dazu: „Mein vorsichtiges Zwischenfazit zur derzeitigen Entwicklung: entweder ganz klein bleiben, oder aber ganz groß werden (dann aber „richtig“). Dazwischen jibt et nüscht. (sprich: wenn es keine Mittelformate im Einzelhandel mehr gibt, stimmt möglicherweise was mit den zugrundegelegten Skalierungskonzepten nicht)

Äußerst bedauerlich: Der Einzelhandel ist insgesamt weggestorben. Er wurde verdrängt von denjenigen, die Wettbewerbsvorteile besitzen.

Im hiesigen Artikel steckt eine tragische Trennungsgeschichte. Sie handelt von einer Beziehung über mehr als drei Jahrzehnte, ihrem Wegbrechen und dem Aufbruch zu neuen Ufern.

Der Mensch ist den bestehenden Verbindungen gegenüber doch immer noch für eine ganze, etwas längere Weile verbunden. Von sich heraus treu. Das gilt auch für den Händler des Vertrauenes. Es gibt ein Vorschussvertrauen oder wie in diesem Fall einen Nachschuss. Eine Weile lang läuft es schon nicht mehr so gut, die Beziehung ist irgendwie in die Brüche gegangen. – Plötzlich, so mich nicht dich nicht, platzt ein gordischer Knoten. Man will die Trennung. Jetzt oder nie. Und dann beendet man die Partnerschaft von mehreren Jahrzehnten und findet in einer neuen Beziehung bessere Konditionen, bessere Atmosphären. Man weiß, man ist anderswo untergekommen. Nur eben anderswo. Was wie die Beschreibung einer gescheiterten Liebesbeziehung anklingt bzw. erscheint, ist in Wirklichkeit der Abgesang auf eine gestorbene Kunde-Händler-Beziehung. So ist der  Artikel zu verstehen. Als ein Freischwimmen und als Laudatio auf die neue Unabhängigkeit. Mit einem Bedauern.

Denn in Franken ist alles ganz anders.

In Franken auf dem Lande, in der Nähe von Bamberg, in Treppendorf. Treppendorf, das ist der Treppenwitz des Musikinstrumentehandels überhaupt.

Der Unternehmer Hans Thomann hat die größte, europäische Musikalienlandschaft aufgebaut. Er ist Branchenprimus, Elefant und Godfather of Groß- und Einzelhandel. An ihm kommt niemand mehr vorbei. Zu den beklagenswerten Entwicklungen im Musikinstrumentenhandel hat er maßgeblich beigetragen, und ist doch an all dem nicht schuld. Schuld war nur der Bossa Nova: Musik machen ist so verbreitet wie Fußball spielen, die Durchkommerzialisierung und Professionalisierung dieses Spartengeschäfts hat sich seine Kinder groß gezogen. Jetzt haben wir die Begehrlichkeiten.

Im unternehmerischen Sinne ist nicht derjenige Schuld, der eine Entwicklung rechtzeitig erkennt und sie ergreift, um daraus eine florierende, virtuelle Erlebnislandschaft „Musik“ zu erschaffen. Und dann konsequent zu etwas wirklich Großem schafft. Zu einem Gott ähnlichen Ebenbild.

Thomann ist eine absolute Ausnahmeerscheinung im deutschen Onlinehandel, ein Fachhandelshaus, wie man es sich als Kunde nur wünschen kann. Klar: Wir werden auch weiterhin nicht ins Auto steigen, in den Zug oder gar ein Flugzeug besetzen, um in Treppendorf, Franken, Geräte zu betatschen, bei denen die unkundigen Fettfinger von Düsseldorfer Kellerkindern zum Preisnachlass für Ausstellungsstücke führen.

Ausstellungsfläche spielt eine immer geringere Rolle. Man geht nicht mehr zum Handel. Der Handel kommt in deutsche Wohnzimmer und Übungsräume.

Kritik

Dafür gibt es Websites, virtuelle Marken- und Gerätekataloge. Hier zählt die Auffindbarkeit, die Usability, der gut geschnürte Auftritt, die Performance des Betretens.

Auch diesbezüglich ist das ganze LineUp vom Treppendorfer Oberfranken äußerst gut geschnürt. Die Website läuft „wie ne Eins“.

Alles ist fit und durchdacht durchorganisiert.

Paul Philipp Erdgeist in der Spezialistengruppe:Musikerwitze zu seinen Erfahrungen mit JustMusic in Berlin: „Damals war die KulturBrauerei meine primäre Anlaufstelle, aber die Arroganz der Mitarbeiter vor Ort hat mir irgendwann echt die Laune verdorben. Dazu kam eine extrem beschränkte Auswahl an Herstellern etc.Selbst per Bestellung waren einige Dinge nicht erhältlich, während sie beim großen T „ab Lager“ verfügbar waren. … Abgesehen davon: Wer hat schon innerhalb der echt spärlichen Öffnungszeiten von JustMusic oder anderen Musikkaufhäusern Zeit? Ich arbeite z.B. i.d.R. werktags mindestens bis 18 Uhr und da haben die schon geschlossen. … Die hatten da ja nicht mal in der Gitarrenabteilung Balanced Tension Saiten da… was ist das denn? Anfängerladen oder was?“ (Kommentarbeitrag bisschen gekürzt)

Bei den Preisen schielen alle, was die Konkurrenz macht. Neu ist der „Thomanncheck“: Als gäbe es Preisabsprachen, ähneln sich inzwischen die Preise deutschlandweit und nähern sich zumindest stark an. In Wirklichkeit aber ist es eher so: Man holt sich den Thomann-Preis als Referenz, wenn man lokal los geht, Instrumente anzuschaffen. Kann ein örtlicher Händler einen ähnlichen Preis anbieten, also mithalten, kann auch lokal noch was gelingen. Auch am Rhein, bei Hildegard von Bingen.

Fatal: Wer losfährt, hat noch Kosten. Bequemer: Thomann versendet, direkt ins Haus.

Mehrere Erlebnisse der anderen, positiven Art auch in Kleinigkeiten: Alles wird kulant gehandhabt, die Mitarbeiter von Thomann sind hochmotiviert, denken mit und kommen Kunden auf gleicher Augenhöhe entgegen. Hiergegen negativ ins Gewicht fallen Wichtigtuer hinter Verkaufstresen von großstädtischen Ladengiganten, die einfach nur cool sein möchten. Das mag das Landleben sein.

Doch halt: Menschen sind als Verkäufer arrogant oder nicht. Das mag sein.

Gerade auch Kunden sind Menschen. Auch diese Gruppe von Menschen sollte eben nicht arrogant sein und Mitarbeiter von Musikinstrumentenhändlern herablassend behandeln. Es sollte ein Klima von gleich zu gleich sein, partnerschaftlich, freundlich, aufmerksam.

Auch wenn es ungewöhnlich erscheinen mag und wenn Menschen mit Höflichkeit und Respekt und nicht mit „gnadenloser Arroganz“ als Endkunden, Privatverbraucher, auftreten. Thomann wickelt alle ein. Mit Kulanz, Liebenswürdigkeit, Freundlichkeit, Beharrlichkeit, Unaufdringlichkeit. Mein großer Respekt für die ganze Geisteshaltung der fränkischen Mitarbeiter. Dies spricht „pro Thomann“ etwas aus: Ein Vorzeigeunternehmer, der offenbar auch das Mindbuildung seiner Mitarbeiter, das flirrende, angenehme Vivre eines gutgeführten Betriebsklimas nicht unterschätzt.

Was schimpfen wir alle, die wir noch billig und gerecht denken, auf die Tötung des Einzelhandels vor Ort.

Paul Philipp Erdgeist (siehe oben): „Früher (als Anfänger) war JM quasi „die heiligen Hallen“, aber seit ich Thomann kenne, sehe ich nur noch: Auswahl = mickrig, Preise = unpassend, Service = unfreundlich etc… heute bin ich auf semiprofessionellem Niveau in Sachen Gitarre und Tontechnik. Da weiß ich selbst am ehesten was ich brauche und da will ich auch genau das bekommen und nicht irgendwelchen Marketing-Bullshit von einem Mitarbeiter hören, der nicht mal 10 % dessen kapiert, was ich selbst drauf habe. Ganz schlimm is das bei Audio-Interfaces… wenn da irgendein Azubi meint, er/sie hätte mehr Ahnung von der PC-Technik als ich und entsprechend arrogant auftritt… da kann ich drauf verzichten. Gerade im Studiobereich is das besonders übel.“ (leicht gekürzt)

Im direkten Vergleich mit der Drei-Städte-Kette JustMusic ist gar keiner möglich. JustMusic landet weit abgeschlagen auf hinteren Rängen. Nachdem das Berliner Filialgeschäft mit zig kleinen Läden und speziellen Rubrizierungen (P.A., Studio, Drums, Guitar, Brass, Acoustic) rund um die Fasanenstr. und die Kulturbrauerei starb, ist der Umzug an die Kreuzberger Oranienstr. insgesamt nicht gut geglückt, leider. Denn gerade nach dem Wegsterben etlicher kleiner, weiterer Musikinstrumentenhändler in Berlin, ist und bleibt JustMusic „der Berliner Platzhirsch“.

Ein Tunebot (Stimmgerät drums) ist kaputt. Die Halteklammer ist ausgebrochen. Eine kurze Schilderung ergibt: Bring das Gerät mit, wir tauschen es aus. Gesagt, getan. Beim nächsten Mal ein anderer Mitarbeiter bei JustDrums: Es erfolgt eine ausführlichste Belehrung was geht und was nicht. Aus Garantiegründen müsse das Gerät eingeschickt werden. Dafür  hinunter ins EG. Nach mehr als acht Wochen und mehreren Anrufen Gerät immer noch nicht zurück, zugesagte Rückrufe oder Emails unterbleiben. Am Ende gibt es eine saftige Beschwerde. Nun geht alles ganz schnell: Das Gerät werde kostenlos ausgetauscht. Ergebnis: Ungefähr 10 Wochen ohne Stimmgerät. Sidekick: Ein zweites Gerät noch sicherheitshalber gekauft. Zwo mal Umsatz. Prima. Das macht ja nüscht, du hast doch zwei Geräte. Gut, davon geht die Welt nicht unter. Fair ist dieser Umgang leider nicht.

Als Langzeitkunde von Dipl. Kfm. Stock, JustMusic, seit Anfang der Achtziger Jahre des vorherigen Jahrhunderts, bin ich inzwischen abtrünnig, geschafft und genervt von der neuen örtlichen Struktur des „Flagshipstoregeschäfts“. Alles ist etagenweise wie Schichtkäse hochgeschichtet in einem Berliner Musikkaufhaus. Die Sache ist extrem unübersichtlich geworden. Am schlimmsten ist die Strategie, das Bezahlen der gekauften Waren ins Erdgeschoss zusammen zu legen.

Bei allem Verständnis für Probleme wie große Lagerhaltungskosten: Es ist doch alles andere als normal, dass wirklich wichtige Schlagzeugfelle einfach nicht im Sortiment sind und erst aufwändig beim Großhändler geordert werden. Dadurch kommt es zu elendigen Zeitverzögerungen. Die Erkenntnis: Nö, das mache ich mit Thomann, der liefert schnell sofort. Von zuhause aus.  – Wir blicken in Berlin inzwischen zu häufig in allzu junge Gesichter, die uns dann belehren: Das? Ha, das läuft hier gar nicht. So was wird hier nicht gekauft. – Und ja, genau, zukünftig eben nicht mehr.

Niemand hat noch Überblick. Wir können uns für fünf Euro ein paar Schlagzeugschrauben kaufen, während der Laden noch leer ist. Gehen wir dann noch kurz in die Keyboardabteilung, füllt sich untransparent der ganze Laden. Im Erdgeschoss angekommen, verbringen wir teils mehr als eine halbe Stunde mit Anstehen um einen zentralen Bezahlcounter. Die Waren und Kleinteile werden mit einer Rohrpost von den oberen Etagen heruntergeschickt. Nein, hier traut offenbar niemand niemandem. Dem Personal nicht, der Kundschaft nicht, alles ist einem entzogen, sogar die Möglichkeit, angemessen zu beurteilen, wie viel Zeit für kleinste Teilekäufe wohl eingeplant werden muss.

Ein altes Schlagzeugrack (Pearl) braucht neue Klammern. Die alten gibt es nicht mehr. Welche neuen sind kompatibel? Eine fotografische und Internetrecherche zeigt Möglichkeiten, auf Ersatzklammern auszuweichen. Thomann schickt nach Prüfung welche. Es stellt sich heraus: Sie müssen mit einem Gummihammer draufgehämmert werden, sitzen aber hammerhart, dass man sie nicht mehr verstellen kann. Shit happens. – Kurzes Telefonat: Ja, ich kann die Klammern so lassen, aber schön ist das nicht. Man will Klammern doch zuweilen anpassen und wie das? Lösung: Thomann schickt neue, bessere Klammern. Und alles ist möglich und nichts unmöglich: Wir verabreden ein passgenaue Lösung mit Rückgabezetteln. Ein großes Lob für diese überwältigende Dienstleistungsfreude. So macht es Spaß.

Gegen all diese Entwicklungen vom Teilchensterben (die kleinen) und Gigantomanie (Konzentration auf wenige, große Platzhirsche) hat sich Thomann mit einer guten unternehmerischen Strategie überzeugend durchgesetzt. Er ist nämlich „der Bessere“. Und der ist bekanntlich der Feind des Guten.

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