Mi. Mai 1st, 2024

Banner Personen

Über DJ Gunter vom Berg, der im Kreuzberger Golgatha regelmäßig auflegt, schrieben wir kürzlich theoretisierend:

In Kreuzberg. Seit Gunter vom Berg dort auflegt, kann man DJs auch Musiker nennen: sie sorgen für gute Musik. Einzige Ausnahme: DJ Ötzi! (hier) – Pump up the Volume!

Clemens Wandelt ist auch so einer. Nicht wie DJ Ötzi, dessen Stern nicht seinen Namen trägt, manche nennen den Ötzi den „DJ Ätzi“. Das ist nicht endlos gerecht: Kürzlich bemühte er sich um Musik auf seiner aktuellen CD, um persönliche Texte abseits vom Bohei und Mitgeschunkele und rastete aus, weil jemand ihn im Interview beleidigte. Man gibt in der Öffentlichkeit das Bild von einem selbst, das man dort hinterlässt. Sich dann zu etwas Ernsthaftem fortzuentwickeln, fällt im Fadenkreuz angedachter Vorurteile jedem schwer. Denn das Vorurteil kommt vor dem endgültigen.

Clemens Wandelt aber  lust“wandelt“ am Parcours für Soul-Jazz-Musik vom Montag, dem Rickenbacker´s, herum, genauer: in der Bundesallee um die Hundertneunziger Hausnummern. Man sieht sich, man trifft sich.

[iframe_youtube video=“E17IRO8–ag“]
Paul Potts singt La Prima Volta für Flashmob in Oberhausen (via Youtube)

Man sieht sich, man trifft sich. Während wir vor der Tür miteinander sprechen, kommen verschiedene andere Berufskollegen von ihm an. Es sind jetzt DJs da en masse. Sie schauen sich die Livemusik-Szene an! Im Rickenbacker´s.

Wir sehen uns auch, wir treffen uns. Das erste Mal, „La Prima Volta“. Paul Potts rührt die Menschen mit seinen Auftritten immer wieder zur Tränen der Rührung und des Gefühls, so wie in diesem flashmob aus einem Einkaufszentrum in Oberhausen aus dem Jahre 2009.

Das erste Mal aber sprach die Menschen auch schon früher an, als man Paul Potts noch gar nicht kannte. Die Wahrheit ist auch, dass das erste Mal die Menschen eigentlich immer anrührt. Weil es ein Tabu jener Zeit der prüden Doppelmoral der Siebziger im aufstrebenden Italien war, fand auch das erste Mal von Andrea e Nicole so viel Beachtung, obwohl es musikalisch gar nicht viel hergibt. Und blieb in unseren Gedanken verhaftet: Wir hatten nun eine feste Vorstellung davon, was beim ersten Mal geschieht. Dass es ein erstes Mal überhaupt gibt!

War das eine Art geheimer da Vinci-Code, der uns fortan für den Rest unseres Lebens zu lustspülen, ja zu überschwemmen trachtete?

[iframe_youtube video=“X_7HkPFX91U“]
Andrea e Nicole – La Prima Volta (1976)  (via Youtube)

Das weitere Mal hingegen, feiner Unterschied, kann die Menschen ergreifen und betören, weil sie das erste Mal fortan erinnern. Es findet erst nach dem ersten Mal statt. Mein erstes Mal, übrigens, war das Hören des Albums „The Dark Side Of The Moon“ von Pink Floyd (1973), wenn ich recht erinnere und das „Setz dich mal hin“ von Zicki, meinem Freund. Er hatte eine größere, weißgelackte Stereoanlage von seinen Eltern geschenkt bekommen und eine kleine 3 Lichter umfassende Lichtorgel, die er an die Anlage mit anschloss.

Das war mein erstes Mal, eine Art Initiationsritus in ernsthaftesten Gefühlen. Nun saß ich da bei Zicki aufm Sofa und war sprachlos, bewegungsunfähig und lauschte gebannt dieser Musik, das erste Mal. Ich rede nicht von der Zeit davor, von Hitparade, Dieter-Thomas Heck, Schnellsprechern ohne jeden Versprecher, Truck Branns, Juliane Werding, Costa Cordalis und Udo Jürgens. Und Roland Kaiser.

Erst sehr viele Jahre später erfahren wir im Hintergrundgespräch, dass Roland Kaiser in Wirklichkeit seine Musiker für die Liveauftritte danach aussucht, ob sie es wohl schaffen, seiner Musik einen Hauch Led Zeppelin, Jimi Hendrix und Richie Blackmore, bzw. einen Michael Landau einzuhauchen, und dass seine glückliche Wahl für dieses Ehrenamt die Auswahl von Torsten „Todd“  Wagner ermöglichte, der fortan den Rocker im seichten Ganzen von „Dich zu lieben“, „7 Fässer Wein“ und „Santa Maria“ gibt. Ein Antipol zum klebrigen Süß, zum Schlager, der wie Honig so zäh ist. Gewiefter Roland Kaiser.

Vor noch gar nicht langer Zeit hat Roland Kaiser in so lebensbedrohlicher Weise unterm Messer gelegen, dass im Grunde niemand ihm das weitere Mal noch zutraute. Clemens Wandelt hingegen spricht nun im Unterschied zu vor „noch gar nicht langer Zeit“ vom weiteren Auftritt von Roland Kaiser, kürzlich hier in Berlin, vor vielen, vielen Leuten. Die Presse hätte geschrieben „kurzatmig“ sei er gewesen. „Alles Unsinn“, weiß Clement Wandelt zu berichten.

Clemens Wandelt gehört zur Spezies derjenigen, die erst im Berliner IFA-Sommergarten gern wandeln, während sie andernorts auf vielfältige, vielschichte Weise die Gefühle der Menschen an „deren Abend“ ernsthaft verhandeln. Ja, so kann man das vielleicht sagen: Er ist DJ, er sagt „Event-DJ“, er hat eine „Mobile Discothek“, kommt mit Knöpfen, Steckern, Steckdosen, auf Rollen, in Flightcases gepackten Musikanlagen. Er hat viele kleine Köfferchen mit Innen-Silber, Tafelsilber, darin die Musik der letzten hundert Jahre, artig verpackt in Hartschalen aus Plastik. Die Sache mit der „digitalen Revolution“ namens MP3 ist seins so richtig nicht. Die Anderen, mit denen ich darüber sprechen, schwören jetzt auf die variable Bitrate.

Vollprofi: Seit über 25 Jahren ist Clemens Wandelt als DJ tätig. Begonnen hat alles als Tontechniker auf Reitsport-Veranstaltungen sowie als DJ auf den anschließenden Reiterfeten. Später wurde in der Tanzschule, der Kirchengemeinde, auf Geburtstagen, Polterabenden, Hochzeiten, Tanzturnieren, Dampferfeten, Firmenfesten und Silvesterpartys gespielt. Zudem kann er auf Tanzschulerfahrung mit 6 Jahren Turniertanz zurückgreifen, hat also auch dort die Erfahrung, die »richtigen« Titel aufzulegen. (Selbstdarstellung Clemens Wandelt, Link unten)

Und während wir vor der Eingangstür vom Rickenbacker´s ohne Sinn und Verstand herumlungern und schließlich auch noch ein eineinhalbminütiges Kurzinterview aufzeichnen, kommen auch schon gefühlte Heerscharen so genannter Berufskollegen von Clemens vorbei. Man grüßt sich, Händedruck, ein kurzes Fachsimpeln über Gagen, anstehende und abgelaufene „Jobs“, ja, die Auftragslage sei gut, wie viel Auslastung in Prozent, ist unwichtig. Musiker sind eine subjektive Brut. Im Unterschied zu ihnen ist der DJ eine Art Objektivierungsrichter: Er entscheidet, was beim Publikum ankommt, er ist der Anwalt der tanzen Wollenden. Besser ist daher, den Musiker mit dem DJ zusammenzubringen, dabei heraus kommt unsterbliche Musik.

DJs können von dem, was sie bei guter Auftragslage und entsprechender Nachfrage erzielen, gut leben, selbst wenn sie nicht jeden Tag ran müssen. Mit Musikern haben sie vielleicht das gemeinsam: Sie leben für die Musik, ihr zu Ehren verlieben sie sich immer wieder aufs Neue, ganz im Sinne ihrer Majestät, der Musik selbst! Selbstlose Liebe bis zur Selbstaufgabe? Keineswegs: Menschen sollen berührt werden, sie sind die eigentlichen „Untouchables“. Man kann ja den Knopf weiter aufdrehen, dann schubst einen der Beat gnadenlos.

Clemens Wandelt ist ein netter Mensch, bescheiden, durchaus umtriebig und interessiert an guter Musik: Da streckt er seine Fühler aus im Rickenbacker´s und schaut dem musikalischen Volk aufs Maul: gucken was geht. Gewiefter Clemens Wandelt. Ich hab´s mit ihm verhandelt.

[iframe_youtube video=“AGyL4vyKY2Y“]
Interview mit einem (Zeit-)Zeugen: Clemens Wandelt – Funk-Soul-Session @Rickenbacker´s Berlin 05.09.11 (Teil 11)  (via Youtube)

Olaf Maske von der Fa. Live Sound war auch da. Clemens Wandelt sagt zu ihm: „Ich brauch mal wieder ein neues Flightcase“. „Komm mal vorbei“, sagt Olaf Maske. Olaf Maske hat schon viele, viele Flightcases gebaut für Berliner.  Und das seit mehr als „fünfhundert“ Jahren #Übertreibungen

Sind am Ende DJs doch die besseren Musiker? Weil sie die Menschen sogar zum Tanzen bringen. Für heute muss die Frage unbeantwortet bleiben. Nachdenken allerdings ist einstweilen ja erlaubt. Die Plattensammlung war schon verstaubt. Er hat sie wieder zusammengeklaubt. Dass sie uns den Verstand raubt. Im Reich der Sinne: nu macht hinne!

Schreibe einen Kommentar

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.