Di. Mrz 19th, 2024

Walk of Fame 01.2010 - Jacky Spelter


Rock´n Roll is here to stay, Jacky & his Strangers (1977) – via DivShare

Jacob „Jacky“ Spelter – * 01.08.1927 + 12.05.2004: „Am 12.Mai 2004, 13 Uhr, verstarb Deutschlands ältester Rock’n’Roller Jacky Spelter in der Berliner Charité nach fünfmonatigem Leiden. Am 1. August wäre er 77 Jahre alt geworden.“ (Quelle: hier)

„Isn´t it the attitude that counts? (Blog Berlin Beatet Bestes – A blog mainly about odd German 45 rpm records)

Weit gereist via Internetz bis nach Ringsberg im Landkreis Schleswig-Flensburg, das ist da oben an der Küste von hieraus gesehen. Dort treffen wir virtuell auf Claus-Peter Gerdsen, die Fa. CPG-Werbung, eine Fullservice-Agentur für Werbung. 1973 kam Claus-Peter Gerdsen, kurz CPG nach Berlin, vom Lande und von Agentur noch keine Rede. 1973 ging man in Kreuzberg in die Tarantel, eine der vielen kleinen Kneipen Berlins. Allerdings eine Besondere, besonders ist ihre Geschichte und heute heißt das Ding „Spreestern“, Köpenicker Str. 174, 10997 Berlin. Wer sich für die Geschichte dieser „Pinte“ interessiert, die heute keine mehr ist, der verfolge die „Erinnerungen eines Stadtrevoluzzers“ am Ende dieses Beitrags. An einem der Tische in der „Tarantel“, so erinnert sich CPG, saß ein Mann, ein „man in black“, schwarz gekleidet, und seine Mitmusiker waren auch schon etwas älter. Der „man in black“, das war Jacky, der Bandleader von Jacky & his Strangers, eine ganz, ganz frühe Berliner „Rock’n Roll-Frühgeburt“.

Jacky Spelter (Foto: G. Bersch, mit Dank)
Jacky Spelter (Foto: G. Bersch, mit Dank)

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[audio:http://www.wdr5.de/fileadmin/user_upload/Sendungen/Erlebte_Geschichten/Audios_Importe/030406_eg_spelter jacky.mp3]
„Der King von Neukölln“ – Jacky Spelter (via WDR5, Sendung vom 06.04.03 -07:05 bis 07:30 Uhr) – 24.07 Minuten Sendezeit

„Unterhaltungsmusik mit Gesang“ war seinen Schilderungen zufolge durch Gesetz am Buß- und Bettag (den wir dann Bett_t_ag nannten) verboten. Musik dem Anlass entsprechend hingegen wohl weniger. Also spielten Jacky & seine Fremdlinge instrumental, etwas getragener, würdevoller und eben ohne Gesang, aber „mit einem Zwinkern“ am Revers. „To be more flexible“, das wäre heute ein unplugged-Substitut des sonst üblichen Programms – eben leiser spielen. Jacky hatte ein bisschen was von einem Salvador Dalí, der Jacky, nicht so etwas Größenwahnsinniges, sondern wegen seines Menjou-Bärtchens, bisschen härter als „der Spinner Dalí“. Er überragte das spanische Surrealistengenie in Sachen Körperbreite (-fülle) erheblich und schaute einfach härter aus, eben Rock´n Roll.  Dalí war nie ein Rock’n-Roller. Jacky …

Von B.B. King ist bekannt, dass dessen Gitarre auf den Namen „Lucille“ hört. Jacky spielte eine 1948-iger Fender Jazzmaster und die hieß „Jenny“. Musikermänner sind treusorgend: Weder „Lucille“ noch „Jenny“ wurden jemals verlassen. Allerdings hat Jacky „Jenny“ mal ausgeliehen, nur kurz während eines Gigs an jemandem, der als Stellvertreter, aber nicht als Steigbügelhalter anzusehen ist: Während der Dreharbeiten zu „Help“ in Österreich erschien John Lennon in der österreichischen Kneipe, in der gerade Jacky spielte. Jacky „the flexible“, wechselte „das Brett“, woraufhin John die Jazzmaster, Baujahr 1948 nahm und „die englische Einstellung“ des Gitarrenverstärkers -volles Brot auf!- mit Jackys „Jenny“ austarierte. Der Wirt beschwerte sich alsbald, er habe Jacky gebucht, und wolle daher jetzt hier nicht die Beatles. Der Idiot Wirt…

Am 16. August 1977 schmückte Jacky seine 48iger Fender Jazzmaster mit einem schwarzen Trauerflor und erinnerte seit dem an Elvis‘ Todestag. Dass 1979 „the one and only“ Little Richard in Berlin in einem Laden namens Top-Disco spielen würde, kontrollierte Jacky persönlich, der „Mr. Lucille“ (da ist sie wieder…) persönlich aus Hamburger Zeiten kannte. Die Sache flog als Fälschung auf. Die Polizei beendete das Konzert und nahm den von Jacky entlarvten Doppelgänger in Haft. Heutzutage gibt es Doppelgänger-Shows, beispielsweise im Hotel Estrel, in -Aha!- Neukölln. Jackys Verdienst, Doppelgängershows bei zugesicherter Straffreiheit im gehobensten Hotel Neuköllns? Mitnichten.

Damals waren diese Geräte noch nicht geerdet, und ich muß heute immer irrsinnig aufpassen, daß ich keinen Stromschlag bekomme, wenn ich in die Saiten greife.“ (Jacky Spelter, Berliner Zeitung vom 01. August 1996, über seine Gitarre)

1993 drehte Jacky mit dem Bayerischen Rundfunk den Dokumentarfilm „Radio Star“. 1996 am 01. August feierte Jacky Spelter in der UFA-Fabrik seinen 69. Geburtstag mit einem Konzert. 1997 erscheint die Filmkomödie „Das Leben ist eine Baustelle“ nach einem Drehbuch von Tom Tykwer (Lola rennt) mit Jürgen Vogel, Christiane Paul, Martina Gedeck, Armin Rohde und eben auch Jacky Spelter, der das spielte, was er am besten konnte: einen Rock’n Roll-Musiker mit lokalem Einschlag. Seinerzeit konnten Filmschaffende noch Originale buchen, doch das ist nun vorbei. 1999 hatte unser Flensburger Informant, der inzwischen weg verzogene Chronist und „Fullservice“-Advertiser, Jacky Spelter zuletzt gesehen, auf einer Festwiese in Berlin-Tegel. Am 03. August 2002 trat Jacky allerdings schon wieder im Saalbau Neukölln auf.

2002 schlagzeilt die Berliner Zeitung über den „King von Neukölln“, eine Headline, wie sie aktuell Neuköllns Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky oder der inzwischen nach Kreuzberg verzogene Kurt Krömer allenfalls noch beanspruchen dürfte. Früher war’s einfacher, es gab einen West-King aus Neukölln und einen Ost-King: den vom Prenzlauer Berg (City). Früher, da waren die „Kings“, aber auch „die Kinks“ noch etwas, das mit Rock’n Roll zu tun hatte, heute sind es biedere Verwaltungsbeamte im öffentlichen, allerdings gehobenen Dienst und (ebenfalls bieder gekleidete) urkomische Neuköllner Kiezoriginale vom Zuschnitt eines Kurt Krömer. So ändern sich die Zeiten. Und die Mauer ist weg, we-we-weg!

In der Ausstellung „Reisefieber“ (12. Mai 2006-08. April 2007) outet das Heimatmuseum Jacky Spelter als späten Lustwanderer, der auf Elvis Spuren dessen letzten Wohnort Graceland besuchte, eingeschlossen Farbfotos vor einem von Elvis Autos. Jacky ist glücklich, man sieht’s. Am 06.04.2003 strahlt der WDR „Erlebte Geschichten“ (höre oben, Player) aus und vermittelt ein Interview mit Jacky Spelter, einem „der ältesten aktiven Rock’n-Roller Deutschlands“. Gefühlte hundert Jahre vorher, Ende der 50iger, trat der hessische Jacky im hessischen Friedberg auf und bemerkte im Publikum den seinen Militärdienst absolvierenden, amerikanischen Superstar Elvis Presley. Elvis schüttelte ihm die Hand und ehrte ihn auf besondere Weise: „Du bist der beste der ganzen Truppe.“ Der spätere „King von Neukölln“ traf den King of Rock´n Roll. Von all den hier erwähnten Kings lebt nun noch der King vom Prenzlauer Berg namens Toni Krahl festentschlossen weiter, auch wenn er gelegentlich der Beerdigung von Herbert „Karat“ Dreilich „die Einschläge näherkommen“ sah. Jacky Spelter und der King of Rock´n Roll leben inzwischen wiedervereint in einem Himmelreich der unirdischen Musik und erinnern in wöchentlichen Sessions an die großen Zeiten des Rock´n Roll. Ohne jedes Feiertags-Spielverbot, Buß- und Bettag und die Tarantel in Berlin-Kreuzberg. Seine Begegnung der dritten Art.

Jacky Spelter, gebürtiger Wiesbadener, Jahrgang 1927, wohnhaft gewesen Sanderstr. 15, 1 Berlin 44 (ja, so hieß das damals!), gründete 1953 seine Band und lebte seit 1962 im Berliner Arbeiterbezirk Neukölln. 2004 ging ein reich gewesenes Leben zu Ende. Eins, das Spaß gemacht hatte.

Sehr gern bitten wir Leser, die bis hierhin vorgestoßen sind, uns sofern vorhanden Bildmaterial, Tonmaterial und weiteres über das Leben von Jacky einzureichen, dem wir mit diesem virtuellen Walk-of-fame-Stein ein ehrendes Andenken bereiten mochten. – R.I.P. – Jacky Spelter!


Guitar Special, Jacky & his Strangers (1977) – via DivShare

Weiterführend

15 Gedanken zu „72/10: Historie: Jacky Spelter wurde posthum am Berlin Musical-Walk of Fame ein Gedenkstein gesetzt!“
  1. Eine glanzvolle Würdigung des unvergleichlichen Jacky, den ich über die Jahrzehnte hinweg immer wieder zu allen möglichen Gelegenheiten gehört und gesehen habe. Der Typ hatte alles drauf: vom Walzer über die Schnulze bis zum Rock.

  2. Weniger ein Kommentar als eine interessierte Frage:
    Wenn Ihr von der „Tarantel“ sprecht, in der Jacky auch gespielt hat, war da wirklich von einem Kreuzberger Etablissment die Rede? Es gab in Neukölln die „Tarantel“, eine Musikkneipe in der Passage, etwas links angehaucht, in die Jacky gut passen würde in den frühen 70ern. Ist das vielleicht ein bißchen der Kreuzberg-wahn, der alles spannende dorthin verlegen will? Ich recherciere zur „Tarantel“, Infos wären sehr hilfreich. Dorothea Kolland

  3. Liebe Dorothea, herzlichen Dank für deine Anfrage. Die können wir wie folgt zutreffend beantworten:

    1.) Es ist kein Kreuzbergwahn. Wir reden von der Tarantel. Weiterführende Informationen entnimm bitte folgenden Links, die zugleich auch eine Art richtiger zeitlicher Chronologie darstellen:

    1.a.) Auf qype.com hat Wilhelm Ruprecht Frieling am 22. März 2010 die Geschichte der Tarantel erzählt. Link
    1.b.) Da wir die Arbeiten von Frieling hoch schätzen und für profund halten, animierte uns dessen Bericht dort, den auch bei uns persönlich (zu Lebzeiten) bekannten Jacky Spelter zu erinnern und eine tiefestgehende Analyse durchzuführen, mit dem (zutreffenden) Ergebnis, Jacky Spelter post mortem einen virtuellen Berliner Musical Walk of Fame-Gedenkstein zu setzen. Verdient ist verdient! Link
    1.c.) Zugleich sicherte sich die Redaktion für die unter 1.a.) angekündigte Veranstaltung Apo, Sex & Rock´n Roll Teilnahmerechte. Über diese Veranstaltung wurde auf einer anderen Website näher berichtet, hier der Link.

    Danach kann kein Zweifel mehr daran bestehen, dass die Berichterstattung über das Wirken von Jacky Spelter irrtumsfrei auf die Kreuzberger, nicht die Neuköllner Variante der Tarantel (jetzt: Spreestern) zutrifft. Aber auch etwas anderes mag zutreffen: Es kann sehr gut sein, daß Jacky Spelter in beiden Tarantulen regelmässig aufgespielt hat. Dazu kann man Zeitzeugen befragen. Die Redaktion verfügt über weitere Zeitzeugen-Namen, die in der Lage sind, aus eigener Erfahrung über Jacky Spelter Auskunft zu geben. Bei Interesse erbitte ich nochmalige Rückmeldung zu diesem Aspekt.

    Herzliche Grüße,
    Tommy Tulip, Webmaster von blackbirds.tv

  4. Hallo Tommy Tulip, eine „noch immer“ Fangruppe aus
    Recklinghausen, welche z. Z. Berlin, und natürlich Jackys Grab, sowie
    das Haus mit seiner Gedenktafel in der Neuköllner Sanderstr.
    besucht, hat mich auf Jackys tag aufmerksam gemacht.
    Toll. Dankeschön. Ich war Jackys letzte Lebenspartnerin.
    Hatte keine Ahnung.
    Gruß, Heidie.

  5. Jawoll, Heidrun, das ist genau der Sinn dieses Beitrags von mir. Dass Jackie einen „verdienten“ Stein auf dem virtuellen „Walk Of Fame“ von Berlin (in diesem Fall: Neukölln) erhält. Wer noch Wissenswertes weiß, ist herzlich eingeladen, weitere Fakten und Materialien an uns zu übersenden, womit gewissermaßen auch Updates zu diesem Gedenkstein möglich wären. Habt eine schöne Zeit in Berlin. Tommy, Mastermind of blackbirds.tv

  6. Ich habe Jacky in den 60er Jahren kennengelernt, als er im Ruhrgebiet spielte. Wir haben uns 2000 wieder getroffen und waren gute Freunde. 2000 und 2002 haben wir in seinem „Büro“ eine Duo-Session aufgenommen „Jacky & Joe“. Ausserdem habe ich nach seinem Tod eine Hommage-Seite für Jacky gemacht. http://www.jackyspelter.de.vu
    Rock’n’Roll
    Joe Blues 😉

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