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John Vaughan (Foto: Privatarchiv John Vaughan - The 50ties, Homepage)
John Vaughan (Foto: Privatarchiv John Vaughan – The 50ties, Homepage)
Trauerkerze (ani/gif)
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Traurig! #blackbirdsTV #TTT #Tulipstagram #Banner
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Am 14. März 2020 ist der amerikanische Singer/Songwriter John C. Vaughan gestorben (19.1.1951-14.3.2020).

Von H.P. Daniels

Das erste Mal bin ich John im Winter 1970 in München begegnet, wo er auf der Leopoldstraße mit seiner Gitarre vor dem Citta 2000 stand, und ich schwer beeindruckt war, wie er dort Songs der Beatles und von Donovan interpretierte, sowie ein paar wunderbare Eigenkompositionen.

Nachdem ich im Sommer 1972 nach Berlin gezogen war, sah ich ihn plötzlich wieder: Auf der Bühne des Steve Club in der Krumme Straße – hey, das ist doch der Typ von damals aus München! – und wieder war ich schwer angetan, von seinen Songs und seiner ungeheuer charmanten und witzigen Bühnenpräsenz.
Auch in der Folgezeit hab ich ihn immer wieder bewundert: im Go In, im Folk Pub, in der Waldborke und im Pampischek und unzähligen anderen Läden.

Nachdem ich eine Weile in England gelebt hatte, und im Herbst 1976 nach Berlin zurückkehrte, war John immer noch in Berlin. Und ich kaufte seine im selben Jahr erschienene LP Somwhere in Europe, auf der ein Großteil der Songs versammelt war, die ich bei seinen Konzerten schätzen und lieben gelernt hatte.
Richtig kennengelernt haben wir uns dann erst 1977 oder 78, als wir beide an einem Abend in der Schöneberger Musikkneipe Scheese auf der Bühne standen, und anschließend miteinander ins Gespräch kamen.

Von da an sahen wir uns regelmäßig, oft mehrfach die Woche, begegneten uns ständig auf unseren Wegen, von und zu den Musikschuppen, in denen wir auftraten. Und meistens trafen wir uns am Ende unserer “Touren” im Banana in der Kantstraße, wo wir auch regelmäßig spielten. Eine Zeit, in der ich einige filmreife Episoden mit John erlebt hatte.

John Vaughan, Somewhere in Europe at Hagelberger Street (Foto: Privatarchiv John Vaughan - The 70ties, Homepage)
John Vaughan, Somewhere in Europe at Hagelberger Street (Foto: Privatarchiv John Vaughan – The 70ties, Homepage)

Damals trat ich anfänglich lediglich unter meinen Initialen als “HP” auf. Als ich ein Poster für meine Auftritte in Auftrag gab, und mit John darüber sprach, meinte er: “Hey, man [er sagte immer Hey, man] HP just isn’t good enough for a name on a poster … you need a real good name, man!”

Ich lachte, fragte, eher spaßeshalber, ob er einen Vorschlag hätte?

Er dachte kurz nach: “Hey man … Daniels” … er zog das amerikanisch in die Länge, dass es klang wie Dääääniels … “Daanniels, that’s a good name … H.P Daniels … whaddaya think?”

Okay: Von da an war ich H.P. Daniels.

Noch Jahrzehnte später, sagte John immer wieder mal zu mir:

“Hey man, don’t forget, I gave you a name!”

Und wenn er mit anderen über mich sprach, sagte er:

“I knew that guy before he had posters!”

John kannte auch Elvis Costello, bevor der Poster hatte.

John Vaughan, Frank Zappa (Foto: Privatarchiv John Vaughan - The 60ties, Homepage)
John Vaughan, Frank Zappa (Foto: Privatarchiv John Vaughan – The 60ties, Homepage)

Gegen Ende des Jahres 2002, als John Vaughans zweites Album “Postcards From The Road” erschienen ist, hab ich für den Tagesspiegel eine längeres Porträt über ihn geschrieben, das ich hier nun, statt eines Nachrufs, noch einmal in ungekürzter Version veröffentliche:

John Vaughan – Ein amerikanischer Singer/Songwriter in Berlin
„Hey, goddamn man, just look at that!“

John Vaughan steht lachend vorm Metropol am Nollendorfplatz, wo wir zum Interview verabredet sind.

„Oh man, just look at that“, er deutet auf ein Plakat am Eingang:

„Nacktparty! Und ab 23 Uhr Cruising Night! Mein Gott, was ist aus dem Metropol geworden? Nach all den Jahren? Wer ist hier früher alles aufgetreten? Pretenders, Mink DeVille, Stray Cats.

Unbelievable! Und jetzt das. Oh man, that’s the last thing on my list!“

In der Garderobe vom Metropol hatte John Vaughan vor über 20 Jahren Elvis Costello wiedergetroffen, mit dem er in den 70ern die Londoner Singer-Songwriter-Bühnen geteilt hatte, als der sich noch D.P. Costello nannte.

„Wusstest du, dass Costello vorgeschlagen ist für die Rock ’n‘ Roll Hall of Fame? Und dass die Voraussetzung dafür ist, dass man 25 Jahre nach der ersten Platte immer noch musikalisch aktiv ist?“

John Vaughan, Somewhere in Europe at Hagelberger Street (Foto: Privatarchiv John Vaughan - The 70ties, Homepage)
John Vaughan, Somewhere in Europe at Hagelberger Street (Foto: Privatarchiv John Vaughan – The 70ties, Homepage)

Vaughan lacht. Sein erstes Album ist vor 26 Jahren erschienen: Somewhere In Europe. Da war er ein echter Star der Berliner Szene. Ein hübscher Junge mit weichem Engelsgesicht, mit überlangen blonden Haaren, tätowiertem Schmetterling auf dem Oberarm. Mit einer Gibson-Akustikgitarre und einem ganzen Koffer eigener Songs. Und einer enthusiastischen Anhängerschaft, vor allem weiblicher Fans, die ihm durch die Folkclubs der Stadt folgten: Go In, Steve Club, Folk Pub, Banana.

„Oh yes, I was world famous in Berlin“, sagt John und lacht. „Man, those times were wild and funky!“


The John Vaughan Band – One More Mile To The Border

„One More Mile To The Border“ was recorded 37 years ago on November 14, 1977 in Berlin, Germany
THE JOHN VAUGHAN BAND:
John Vaughan – lead vocal, acoustic guitar
Chris Deschner – acoustic lead guitar
Hans-Dieter Lorenz – bass
Christian Evans – drums
Digital edit: Christoph Deschner

Im späten Winter 1970 stand der Amerikaner John Vaughan im Schnee auf der Münchner Leopoldstraße. Ein dünner Junge, dünn angezogen, mit T-Shirt und ausgewaschenen Jeans, mit mächtig ausgestellten Hosenbeinen. Stand da mit seiner Gitarre und sang „Rocky Racoon“ und andere Songs von den Beatles, Lieder von Donovan und ein paar eigene. Und die Passanten blieben stehen, trotz Kälte. Und weil sie fanden, daß der Junge Talent hat, warfen sie ihr Kleingeld in seinen Gitarrenkoffer. Davon kaufte er sich was zu essen. Leberkäs und kleines Bier, „Gammlergedeck“ im legendären Leopoldstraßen-Schnellimbiß Picnic, dem damaligen Münchner Treffpunkt der Langhaarigen, der jugendlichen Ausreißer und der englischen Bands, die nebenan im PN oder im Big Apple auftraten.

John Vaughan, Buskin Munich (Foto: Privatarchiv John Vaughan - The 70ties, Homepage)
John Vaughan, Buskin Munich (Foto: Privatarchiv John Vaughan – The 70ties, Homepage)

„Weißt du, daß ich da mal im Vorprogramm von Golden Earring gespielt hab?“

Vaughan war gerade 19 Jahre alt, fertig mit der Highschool, und weit weg von zu Hause.

On the Road von Jack Kerouac war die Bibel der 19-jährigen, und Vaughan reiste herum. Somewhere in Europe: London, Amsterdam, München. Ohne Geld, nur Rucksack und Gitarre. In München hauste er mit Freunden in einem Schwabinger Abbruchhaus. Bis er einen Typen kennenlernte, der ihn von der Straße anheuerte: als Sänger und Gitarristen für das Musical Jesus Christ Superstar.

„Der Typ war ein ‚Voice Coach‘, Gesangslehrer, Stimmtrainer. Ich hab seinen Namen Jahre später im Abspann von Spielbergs Film Schindlers Liste wiederentdeckt! Amazing!“

Und Vaughan war wieder on the road, jetzt mit dem amerikanischen Ensemble von Jesus Christ Superstar.

„Hey man, mein erster Auftritt in Berlin war in der Deutschlandhalle, can you believe that?“

Doch nach zwei Wochen war die Produktion pleite, und Vaughan stand wieder auf der Straße. April 1972. Im grauen Mauer-Berlin. Aber er hatte eine Adresse: Kreuzberg, Hagelberger Straße 14. Dort wohnten amerikanische Musikerfreunde. John zog ein.

„And the rest is history“, sagt er.

Schnell wurde John Vaughan in den Berliner Folk-Clubs „weltberühmt“. Mit seinen Songs, seinem Charme und seinem skurrilen Humor. Seinen witzigen Geschichten in amerikanisch-deutschem Sprachdurcheinander mit Berliner Einsprengseln.

„Goddamn man, dett war ne tolle Zeit, man konnte jeden Tag auftreten, und das gleich in mehreren Läden pro Nacht. Ich bin fast nie vor fünf Uhr morgens nach Hause gekommen. 500 Auftritte im Jahr, das war nur in Berlin möglich!“

Und world famous in Berlin reichte völlig aus. Bis die neue Welle kam: New Wave und Punk, und niemand wollte mehr akustische Musik hören.

Den Folk Clubs ging das Publikum aus, ein Laden nach dem anderen machte dicht. Erst der Steve Club, dann die anderen. Und es ließ sich nicht mehr davon leben, world famous in Berlin zu sein.

„Hey, kannst du mir einen Anzug leihen?“ fragte Vaughan 1981 einen Freund. Er brauchte die Klamotten für ein Vorstellungsgespräch im Schweizerhof, mußte seriös aussehen. Die Pan Am suchte Stewarts für die Sommersaison. Der Anzug hat gepasst, Vaughan war dabei. Und er blieb dabei. War wieder unterwegs. On the road. In the air. Tel Aviv. Bangkok. Los Angeles. Kapstadt. Neu Delhi. Tokio.

Doch mußte er sich vorher die Haare schneiden und sein Schmetterlings-Tattoo aus dem Arm ätzen lassen. Und den Stern aus dem Handrücken. Eine qualvolle Prozedur.
„Man, I tell you, that really did hurt!“

Natürlich hat er es bedauert, daß er wegen der neuen Arbeit nicht mehr auftreten, keine Musik mehr machen konnte.

„Andrerseits konnte ich froh sein, daß die Pan Am einem Ex-Hippie diesen Job gegeben hat“.

Inzwischen ist er Chef-Stewart bei der Lufthansa.

Und trotzdem hat er all die Jahre niemals aufgehört, Notizen zu skribbeln, Songtexte zu schreiben. Wie Tagebücher. All die unterschiedlichen Eindrücke unterwegs inspirierten jede Menge neuer Songs: wie poetische Kurzgeschichten, Fotos, kleine Filme.

Szenen im Zwielicht eines Billardsalons in Rangoon, dunkle Stories über amerikanische Drogensüchtige in Marrakesch. Ein Skinheadüberfall auf einen türkischen Kebab-Buden-Betreiber in Kreuzberg. Wie finstere Poeme spricht Vaughan diese Songs mit wunderbarer, sonorer Stimme auf seinem neuen Album Postcards from The Road.

Vor dem sparsamen Hintergrund eines jazzig tinkelnden Pianos oder in der großen Kulisse türkischer Streichinstrumente und Rapper. Doch dann singt der begeisterte Beatles-Fan auch immer wieder seine schönen Melodien zu akustischen und elektrischen Gitarren, zu weiteren Short Stories: Über einen Besuch am Grab des argentinischen Volkshelden und Tango-Sängers Carlos Gardel oder im melancholisch sehnsüchtigen Tokyo Hotel Blues: „You’d like to get home to your wife and your life.“

Wer so viel on the road ist wie Vaughan, sehnt sich nach einem Zuhause, nach einer sicheren Ausgangsbasis, wohin er immer wieder zurückkehren kann. Er hat sie gefunden: in Berlin und bei seiner Frau Petra („Meine Spreeperle!“). Sie ist es auch, die ihn seit Jahren die Feinheiten der deutschen Sprache und Grammatik lehrt:

„Mensch, John, wie oft soll ick dir dett noch sagn: dett heißt nich der Album, dett heißt ditt Album!“

Das neue Album Postcards From The Road ist Vaughans zweites. 26 Jahre nach dem ersten. Und damit erfüllt er schon mal die Grundvoraussetzung zur Aufnahme in die Rock ’n‘ Roll Hall of Fame.

H.P. Daniels
Ungekürzter Originaltext für Tagesspiegel v. 29.11.02)

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Im Oktober 2004 führte ich ein längeres Interview mit Elvis Costello im Berliner Hotel Adlon. Am Ende eines sehr schönen und langen Gespräches konnte ich es mir nicht verkneifen, Costello auf John Vaughan anzusprechen. Ich hab den Mitschnitt der entsprechenden Passage später John vorgespielt, und er hat sich wie ein Kind darüber gefreut … und amüsiert über unser Rumgeeiere.

Hier die Passage im unredigierten Original:

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H.P. Daniels: In late 75, early 76 in London you played places like “The Half Moon“, Putney and „The White Bear“ in Hounslow.

Elvis Costello (surprised): Well!

HPD: And you played in a place called „The Phillip Faucet College“.

EC: Yeah, right!

HPD: In those days you shared the bill with a friend of mine [shows him the CD: „Somewhere In Europe”]. Do you remember him? John Vaughan?

EC (even more surprised): I think I do, yeah! He’s an American guy! Yeah, I do remember him! He was pretty good! What happened to him?

HPD: He used to play a song of yours: „Can’t Turn It Off“.

EC: Yes, that’s right. I did write a song called „Can’t Turn It Off“. Well, isn’t that amazing! Yeah I did know him a little bit. What … does he live here?

HPD: Yeah, he lives here in Berlin.

EC: Well would you please give him my best, yeah!

HPD: He works as an airline stewart now.

EC: Isn’t that amazing!

HPD: This was his first album he did in 75. And this is his second one he did in 2003 [shows him the CD „Postcards From The Road“]

EC: Isn’t that great! Oh, thank you! Well … amazing! You know I saw a lot of people and I wonder whatever happened to people. You never see them again. There were a couple of people that were really good and you just think why did they never go anywhere?

HPD: If you want to have it, I’d give it to you.

EC: Oh no, no, no.


John Vaughan – Palaiochora Day

„PALAIOCHORA DAY“ recorded on June 14, 1976 in West Berlin.
From the recording sessions for John’s LP, „SOMEWHERE IN EUROPE“.

John Vaughan: Acoustic Guitar, Vocals
with
Haris Katsimixas: Bouzouki, Backing Vocals
Panos Katsimixas: Backing Vocals
Aris Papageorgiou: Backing Vocals
Chris Deschner: Acoustic Lead Guitar, Backing Vocals
Jon Shaw: Bass Guitar
John Mernit: Drums
Tommy Goldschmidt: Percussion
Produced by Jesse Ballard

HPD: I’m sure he’d give me a new one.

EC: No, no, you should keep that, cause he dedicated that to you. Let me keep this one, if I may [„Somewhere“] … or you wouldn’t have shown it to me … [big discussion with lots of nononos and pleaseyoucanhavits] nonono, I can find this one, no problem … ‚cause he’s dedicated that to you, I can’t take that from you. … But that’s interesting [looking at the cover of „Somewhere“], ‚cause that’s exactly as I remember him. He looked exactly like that.

HPD: Yeah, that must have been around the same time when you knew him.

EC: Yeah, amazing … give him my best … that’s staying!

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Nach einer Wiederauflage von
Somewhere In Europe (+ Bonus-Tracks) (1989) Power Play Records
sind weiterhin erschienen (alle bei Bluebird Café Records)
Postcards From The Road (2002)
Rhapsody From Sixth Avenue (2008)
John Vaughan Solo Acoustic West Berlin 1972 (2012)

John Vaughan:
Rhapsody From Sixth Avenue (Bluebird Café Berlin Records)

Der amerikanische Songwriter John Vaughan reist in seinem dritten Album durch 23 Songs mit abwechslungsreichen Melodien, rauscht durch Berlin, London, Liverpool, New York, Paris, Prag, Indien. Und durchs eigene Leben.

Zu den Wurzeln in den 60ern, zu den Beatles, Donovan, durch die englische Folkszene der 60er, die amerikanische Beat-Generation, Jack Kerouac, „On The Road“, und zurück in die Berliner Gegenwart.

Rauschhafte Poeme zu fabelhaften musikalischen Arrangements. Zeitgemäß, zeitlos, schön.

H.P. Daniels

Tip Berlin Nr. 12/2009
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Goodbye John, my dear old friend. I’ll miss you.

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