Di. Mrz 19th, 2024

Ein Paradiddle ist keine Diddlemaus auf Drogen! Martin Grubinger erst recht nicht: bekennender Nichtraucher, Nichttrinker und „Ich hab noch nie Drogen ausprobiert.“ Denn Schlagwerk ist sein Pläsier. Der Mann hat einen messerscharfen, ganz klaren Sachverstand: er teilt die Zeit in beats per minute ein, ohne dafür eine Stoppuhr zu benötigen. Sein Credo lautet: „Alles, nur nicht Mezzoforte“. Womit Martin Grubinger sich gegen jede Art von musikalischer Mittelmäßigkeit verwahrt. #Erkenntnisse

Was kann man dem uneingeweihten Musikliebhaber erklären, um Martin Grubinger gut zu beschreiben? Erstens: Er ist jung, 28 Jahre alt. Zweitens: Er ist Österreicher. Drittens: Er hat Schlagzeug in Linz studiert, klassisches Schlagzeug. Also die Batterie vom Klöppeln mit Klöppels, dem Präkeln mit Präkeln, dem Rascheln mit Besen, den derwischhaften Trommelläufen und Blitzlichtgewitter-Kaskaden über Marimba, Djembe, Conga, kurz: die ganze bunte Welt der Perkussionsinstrumente. Viertens: Sein Vater heißt Martin Grubinger senior und spielt auf der Bühne mit, von einer „Mehrgenerationenbühne“ zu sprechen, erscheint nicht völlig verfehlt. Martin, allein unterwegs, das gibt es nicht. Jedenfalls nicht am Pfingstmontag, den 13.06.2011 in der Berliner Philharmonie.

Martin Grubinger - Shootingstar der Percussionszene
Martin Grubinger - Shootingstar der Percussionszene

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Martin Grubinger – Drums ’n‘ Chant – Herausgeber: Deutsche Grammophon (via youtube)  

„Drums ‚n’ Chant“, sein bemerkenswertes Debüt-Album bei „Deutsche Grammophon“ kam Mitte Oktober 2010 auf den Markt…. Das ist gregorianischer Gesang, komplett umhüllt von Perkussion jedweden Instrumentariums. In monatelanger Auseinandersetzung entstanden um diese Gregorianik herum von Martin Grubinger und seinen Kollegen, nicht nur Perkussionisten, völlig neue Kompositionen mit durchaus vielfältiger Stilistik. Nach zweimaligem ersten Hören der Presse-CD hier der hundertprozentige Tipp, sie sich nicht entgehen zu lassen. Man taucht in unterschiedlichste Klangwelten ein, einmal meditative, dann wieder dramatische – jeder und jede wird die eigenen „Favoriten“ für sich entdecken. Das kann einmal türkischer Gesang sein, dann wieder afrikanische Trommeln, auch eine (Berliner) philharmonische Oboe oder Flügelhorn und Trompete. Die Messtexte und Proprien, gesungen vom Mönchschor einer Benediktinerabtei, werden so zu einer Liturgie aller Weltreligionen und – des Lebens. (mica-Interview mit Martin Grubinger, Link unten)

Ist Grubinger Gott? Vielleicht sein Sohn? Mindestens aber scheint er mit ihm verwandt zu sein: lassen wir es dabei. Das Berliner Veranstaltungsplakat mit freundlicher Unterstützung von Dussmann und dem Tagesspiegel bezeichnet Martin Grubinger als „Shootingstar der Percussionszene“, vielleicht trifft es das ja. Er ist jedenfalls schnell auf seinen Instrumenten, sozusagen wieselflink und die atemberaubenden Tempi, die er zuweilen zurücklegt, sind eher die Formel 1 als ein balladesk anmutendes Traurigwettergewitter. Schnell, heiter, aber nicht naßforsch. Und dynamisch. Etwa wie folgende, spontan entwickelte Schlagübung, sprich:

Der Özil liebt Schuhe, die Ösis die Kühe, der Ötzi, der starb auf dem Gletscher mit Mühe! Dies alles ist nichts gegen Ratamacue? (zur Ratamacue, hier) – Liebe Leser, bei der Übung bitte konzentrieren und nicht auf die weiterführenden Links klicken, es besteht die Gefahr, aus dem Takt zu geraten, speziell wenn die Internetflatrate in Folge zu vieler externer Abfragen aus den Fugen gerät. – Richtig: Die Arbeit besteht jetzt darin, die Taktzahlen konkret und richtig auszuzählen. Wer die Lösung weiß, Email genügt. (Praxistipp: Die Zählübung basiert auf einem virtuellen 1/36-tel, interpretiert ternär, so nun Ihr!)

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Martin Grubinger – Live 13.06.11 @Philharmonie Berlin (1) (via youtube)  

Ey, Schlagzeuger, spiel doch mal dynamischer! Schlagzeuger: Dynamischer? Ich kann nicht lauter! (Quelle: facebook-Spezialistengruppe:Musikerwitze)

Das Konzert nimmt seinen Anlauf, dann seinen Lauf und schließlich fühlt man sich wohl wie in einem Hundeauslaufgebiet, vorausgesetzt man mag Hunde und hat sie zum Fressen gern! Die akkustischen Häufchen, die uns Herr Grubinger junior mit Begleitung aus Vater Grubinger senior, seinem weiteren, einstigen Hochschul-Drumlehrer und zwei bis drei weiteren Mitmusikern, zeitweilig auch einem könnerhaften Herrn aus Burkina Faso (hier: Weltmusik), verschafft, darf man als „Weltmusik“ im besten Sinne verstehen. Denn der Reigen der gespielten Stücke beginnt in der klassischen, europäischen Musik, ganz am Ende findet sogar ein „richtiggehendes Drumset“ (mit Doppelbassdrummaschine) Verwendung und kurz zuvor gibt uns Herr Grubinger einen Eindruck vom Können im Trommeln von so genannten Rudiments, militärisch begründeten Stockübungen für rechts und links und die Erklärung, was ein Paradiddle ist.

 R L R R L R L L #Grundform des Paraddidle, wobei R für rechts und L für links steht, nicht politisch gemeint

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Martin Grubinger – Live 13.06.11 @Philharmonie Berlin (2) (via youtube) 

Jetzt weiß es auch das Publikum. Die Philharmonie ist sehr gut besucht, es sind deutlich über 2.000 zahlende Zuschauer auf den Rängen des Architekten Sharoun, der diese letztlich baute, um dem „reinen Klang das gönnerische Gehör“ zu verschaffen, dass es verdient. Jedes der Stücke, die Grubinger kredenzt, hat eine Geschichte und es gibt stets eine inhaltliche Begründung des Zeremonienmeisters selbst, die dieser vertrauensvoll dem Publikum vorstellt. Es sollen auch einige Schlagzeuger in den Zuschauerreihen sein, von mir aus interessehalber.

Martin Grubinger - The Percussive Planet (DVD)
Martin Grubinger - The Percussive Planet (DVD)

Martin Grubinger hat ein solches Konzert kürzlich professionell mitschneiden lassen, weil er das auch selbst mal sehen wollte, sagt er. Jetzt gibt es eine DVD namens „The Percussive Planet“, auf der man sich diese Art perkussives Traumfeuer visuell in hoher Sound- und Bildqualität anschauen kann. Empfehlenswert: eine gute Heimkinoanlage mit sehr gutem Soundbesteck: denn es geht wirklich auch um Dynamik, also -anders als oben dargestellt- um laut und leise! Hier ist Promovideo dazu und hier kann man die DVD kaufen!

Wir verbissen unwissend Gebliebenen wissen nun, dass es nicht nur den Vier-Viertel eines Dieter Bohlen (Who the f…. is ….?) gibt, sondern auch 13/6-tel, 5/8-tel und jede anderweitige, mathematisch auflösbare Zählform. Es erstaunt uns auch zu wissen, dass derlei mitten im Stück abwechseln kann. Eine Sextole ist schliesslich ebenfalls nicht etwas Unanständiges und der Sechser bezeichnet die Zahl der gehaltenen Klöppel, der Vierer nicht den Gruppensex und dass man mit lediglich nur zwei Klöppeln (einer pro Hand) aber minutenlang eine Sequenz wie diese (er macht es vor) trommeln kann, sei schliesslich dann doch nicht ganz einfach. Extra-Beifall dafür, stimmt.

Was viele nicht wissen, stimmt: Schlagzeuger notieren, was sie spielen, in gebräuchlichen, handelsüblichen Noten. Die Besten notieren erst die Noten und kassieren dann die Banknoten: für ihr vortreffliches Spiel. So entstehen Partituren als gezielte Anweisung zu klopfen oder das Klopfen an bestimmten, genau definierten Stellen zu unterlassen, den Pausen. Schwarz oder weiß: für den Percussionisten bzw. Schlagzeuger sind beide Werte von selber Wichtigkeit und die Präzision, mit der sie beides auszuführen gedenken.

Es kommt eben nicht darauf an, wieviel du hast, sondern was du machst. Irgendwo steht, er kann 1.000 Schläge pro Minute spielen, ob das stimmt, konnten wir nicht nachzählen. Johnny Rabb, beispielsweise, holte sich den Titel „World´s Fastest Drummer“ mit 1071 single strokes (Einzelschläge) pro Minute, Martin Grubinger haben wir jedenfalls bislang auf derartigen Wettbewerben weder bewußt noch versehentlich gesehen. Man mag glauben, dass das für ihn eben auch keine Rolle spielt.

Am Ende dieses gut zweieinhalbstündigen Marathons inklusive dreier Zugaben wissen wir, wie vertrackt das Leben sein kann, wenn es rhythmisch abgeht. Einige sind besser als die Anderen, das sind die guten und wenige Ausnahmen stehen unangefochten an der Weltspitze: u.a. Martin Grubinger!

3 Gedanken zu „540/11: Video: Martin Grubinger spielte perkussive Traumkadenzen, das Ganze „lost in percussions““

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