Do. Mrz 28th, 2024

 

Karl Johannes Schindler
Karl Johannes Schindler

Was dich erwartet: Extrem diskreter Dialog erster Kajüte: hamburgisches Credo im Gespräch mit Gottfried Böttger, Pianist von Gottes Gnaden, Referent kultureller Nachhaltigkeit, Anachronist der Hamburger Musikszene weltweit!

Wenn Karl-Johannes Schindler die Apologeten der Weltkultur ins Gespräch nimmt, darf man eine etwas von der Mitte „eingenordete“ Gesprächsführung erwarten und Antworten, mit denen man eigentlich nicht rechnete. Nun also sprach „K.J.S.“ mit Gottfried Böttger, dem norddeutschen Überpianisten, einstigen Wegbegleiter des Wahlberliner und -hamburgers Udo Lindenberg (dessen Likörelle beliebt sind), über Talkshow-Begleitung, Computer, Yorckschlösschen-Gigs „in Bälde und -kurz gesagt- über dies und das. Das Gespräch haben wir (wieder) übernommen und danken dem Autoren herzlich dafür. Als ich selbst in den frühen Achtzigern als Ordner in der Berliner Waldbühner ordnete, was zu ordnen sich anbot, passierte mir etwas Schreckliches: Ich ließ den Bassisten Steffi Stephan nicht auf die Bühne, weil ich ihn für einen „Fan“ hielt. Jemand schubste mich dann zur Seite und sagte: „Der kann durch“. Steffi Stephan sagte zu mir: „Ey, ich bin der Bassist!“ Und ich: „Jaja, das sagen sie alle!“ Mit Gottfried Böttger wäre mir das nicht passiert.  Gottfried Böttger ist ein Hamburger Zeitzeuge ersten Ranges. Und ich bin nicht mehr Ordner! Gott sei Dank!

Seitentrenner: Interview

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Hamburg 75 – Element Of Crime, Gottfried Böttger, Andreas Dorau – Aus der Talkshow „3 nach 9“ vom Januar 2011 (via Youtube)

Achtung, aufpassen: Andreas Dorau ist nicht „Andrea Doria“, letzteres ist ein Song von Udo Lindenberg, der mit „Fred vom Jupiter“ nichts zu tun hat. In dem Song „Hamburg 75“ kommen textlich eine Vielzahl von Hamburger Szenegrößen vor. Auch wenn es ein Schunkelsong der seichten Art ist, ist es eine Remineszenz an diese Zeit, ohne Verpflichtung, Heizdeckchen oder ein Abo der „St.Pauli-Seniorenpost“ für mindestens ein Jahr zu erwerben!

Seitentrenner: Interview

K.J.S.: Nicht nur, dass du an der Entstehung des legendären Panik-Orchesters maßgeblich beteiligt warst – dir wurde in „Andrea Doria“ auch ein Denkmal gesetzt: „Gottfried heißt der Knabe da hinten am Klavier…“

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Udo Lindenberg – Alles klar auf der Andrea Doria 1974 – am Piano: Gottfried Böttger (via Youtube)

Gottfried heisst der Knabe da hinten am Klavier
und für jede Nummer Ragtime kriegt er’n Korn und’n Bier.
Ein Typ in der Nische schockiert seine Braut
und Bernie Flottmann denkt er wär’n Astronaut.
Jetzt kommt noch einer ‚rüber aus der Dröhndiskothek
und ich glaub‘ daß unser Dampfer bald untergeht.
Aber sonst ist heute wieder alles klar auf der Andrea Doria.
Aber sonst ist heute wieder alles klar auf der Andrea Doria.

 

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GOTTFRIED: Das war die Zeit, …in der ich mit Udo zusammen in einer WG wohnte. Mein Zimmer war das Durchgangszimmer zu seinem Zimmer. Da kann man sich natürlich vorstellen, was da los war! Wir waren eigentlich auch immer, wenn wir in Hamburg waren, in der legendären Musikkneipe „Onkel Pö’s Carnegie Hall“, in der immer nach den Auftritten der angesagten Künstler Jam-Sessions, also unmittelbare musikalische Zusammenkünfte, stattfanden. So entstand eigentlich die „Hamburger Szene“, wo durch das Zusammentreffen der unterschiedlichsten Richtungen Neues geboren wurde.

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K.J.S.: Der ganz große Erfolg überfiel euch dann quasi über Nacht, und in seinem Gefolge hielten sich auch Erscheinungen wie jähe Popularität, sehr gelungene Partys und ebensolche Frauen auf. Das lässt einen interessanten Cut im Leben eines blutjungen Musikanten vermuten.

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GOTTFRIED: Die Popularität war ja nicht blitzartig vorhanden. Udo spielte ja schon bei „Doldingers Passport“ in München, dann bei „Atlantis“ mit Inga Rumpf in Hamburg, ich hatte ein bekannte Gruppe namens „Leinemann“. Es war also kein Cut, eher ein „Höherschweben“. Und das mit den Partys und Groupies – da denkt man sich viel bei, aber wenn man 90 Prozent abstreicht, hat man ungefähr die Realität. Uns kam es auf die Musik, Udo auf die Übertragung seiner Texte an.

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K.J.S.: Udo Lindenberg verriet, dass seine torkelnde Bühnenpräsenz keine einstudierte Masche gewesen sei. Vielmehr wären ihm bei eurem ersten Fernseh-Auftritt auf Grund eines bemerkenswerten alkoholischen Vorglühens koordinierte Bewegungsabläufe versagt geblieben, was er dann prompt zu seinem Stil erklärt und fortan beibehalten hätte. Wart ihr denn auch mal nüchtern damals?

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GOTTFRIED: Das mit dem „Torkeln“ war zwar eine Unsicherheit, auch auf Grund des einen oder anderen Glases Sekts vor dem Auftritt – übrigens in der Hamburger „Fabrik“ für das ZDF. Lampenfieber war auch dabei. Aber bei einer derartigen Trunkenheit, die er dann vorspielte, hätte er mit Sicherheit keinen Text mehr gewusst… Nüchtern mussten wir Musiker schon alleine deswegen sein, weil dieser neue Musikansatz doch eine gewisse Art von Konzentration erforderte, die mit Alkohol oder anderen Drogen gar nicht möglich gewesen wäre. Gefährlich wird es erst dann, wenn du über Jahre das Gleiche spielen musst, vor allem, weil es die Schallplattengesellschaft verlangt.

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K.J.S.: Ein äußerst sympathisches Verdienst eures Ensembles bestand darin, schillernde Randfiguren der Szene musikalisch zu installieren und zu würdigen. Wie begegnet man dir, wenn du heute über die Reeperbahn bummelst?

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GOTTFRIED: Man begegnet sich wie einem alten Kumpel, sagt nicht zuviel, freut sich, dass man noch lebt und hat das Gefühl, für einen etwas getan zu haben…

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K.J.S.: Was bewog dich, dem Panik-Orchester dann doch recht früh zu entsagen?

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GOTTFRIED: Nach vier Jahren war Udo oben, textlich und tourneemäßig. Wir hatten ihn mit getragen, und das war auch in Ordnung. Nur – ich bin Klavierspieler und wollte endlich einmal das Klavier wieder im Vordergrund haben, was bei der Konstellation im Panik-Orchester natürlich unmöglich war. Wir haben uns im Guten getrennt, Jean-Jacques Kravetz hat weitergemacht, und ich bin dann mit meinem Klavier andere Wege gegangen, bei denen die Improvisation und das kleine Ensemblespiel im Vordergrund standen und weiterhin stehen.

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K.J.S.: Seit 1974 bist du nebenbei ständiger Pianist bei der TV-Talkshow „III nach 9“ von Radio Bremen. Nach der Sendung ist da mehr los, denke ich.

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GOTTFRIED: Es ist vor allem etwas anderes los, und es ist nach wie vor bemerkenswert, was Menschen vor und dann hinter der Kamera sagen und behaupten. Wenn man 37 Jahre lang miterlebt, wie eine so genannte Wahrheit verbogen werden kann, dann zieht man sich entweder zurück oder spielt Blues…

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K.J.S.: Außerdem belieferst du das Fernsehen mit Kompositionen beispielsweise für den „Tatort“ oder das „Großstadtrevier“. Was gibt dir dieses immer stärker gescholtene Medium außer Honoraren?

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GOTTFRIED: Das mit den Honoraren hat sich durch Verlagsbindung und Produzententantiemen längst erledigt. Was mich nach wie vor interessiert, ist die musikalische Verstärkung des bildhaften Ausdrucks. Deswegen begleite ich nach wie vor begeistert Stummfilme, um eine direkte Übertragung der Bildinformation durch musikalische Improvisation zu verstärken. Mein leider verstorbener Freund Jürgen Roland war so einer, der mir die Freiheit des direkten musikalischen Ausdrucks zum Bild gab. Aber diese Art von Regisseuren gibt es immer weniger.

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K.J.S.: Professor bist du mittlerweile ebenfalls. Du lehrst Mediendidaktik. Was ist das denn?

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GOTTFRIED: Um genauer zu sein: Computerdidaktik. Nachdem ich mich schon in den frühen 70-er Jahren mit Synthesizern und Computern beschäftigt hatte, kam natürlich die Frage auf, wie sinnvoll es sein kann, einen vom Synthesizer erzeugten Klang oder auch für den Computer erzeugte Programme in unser Leben einzubauen. Wir stehen mit diesen Arbeiten erst ganz am Anfang, wobei sich zum Beispiel herausstellt, dass ein vom Computer erzeugter Klang niemals das Volumen eines echten Konzertflügels ersetzen kann. Andererseits wird durch das Internet mittels entsprechender Programme eine enorme Erweiterung nicht nur der musikalischen Horizonte erreicht.

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K.J.S.: Funktioniert der Kontakt zu den Helden von damals noch? Plant ihr vielleicht sogar neue gemeinsame Vorstöße, nachdem Udo neulich ja wieder phänomenal abgeräumt hat und jetzt überdies Musical-Star ist?

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GOTTFRIED: Der Kontakt ist nach wie vor hervorragend. Udo und ich sehen uns regelmäßig, Erfahrungen und Wahrnehmungen werden ausgetauscht, und ab und zu gibt es dann auch noch mal ein Konzert der sogenannten „Giganten“, ohne Wehmut und mit viel Spaß.

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K.J.S.: In Berlin steht so ein verrücktes, verdienstvolles Yorckschlösschen, in dem sich internationale Musikalartisten von Format Klinke und Glas in die Hand geben. Es scheint irgendwie auf dich zu warten, besonders auch sein wunderbares Klavier.

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GOTTFRIED: Ich habe durch dich das erste Mal davon gehört und würde mich sehr freuen, dort zu spielen – sei es als Solokonzert oder mit Bluesfreunden wie Abi Wallenstein oder Henry Heggen, vielleicht auch mit Christian von Richthofen und Jürgen Attig. Es gibt da wunderbare Möglichkeiten…

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K.J.S.: Was möchtest du noch loswerden, bevor ich dir für dieses aufschlussreiche Gespräch vielmals danke?

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GOTTFRIED: Wir Älteren sollten erstens versuchen, die jungen Musiker für handgemachte, individuelle und ehrliche Musik zu begeistern, wobei durchaus der Computer und der Synthesizer eine große Rolle spielen können. Und zweitens sehe ich es als meine Verpflichtung an, den Bekanntheitsgrad, den man erreicht hat, für soziale Zwecke wie Benefizkonzerte einzusetzen. Es gibt in unserer nahen Umgebung da sehr viel zu tun…

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K.J.S.: Ich danke dir für dieses aufschlussreiche Gespräch vielmals.

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