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Trauerkerze

Jack.Bruce_Remember

I´m so glad, I´m so glad, I´m glad I`m glad I´m glad!

Von: H.P. Daniels (Gastbeitrag)

Jack Bruce ist tot. Was für eine traurige Nachricht. Als ich am 25. Oktober 2014 über das schnelle Internet von diesem Tod am selben Tag erfuhr, dachte ich natürlich sofort an das letzte Konzert, in dem ich den grandiosen Musiker als Bassisten, Komponisten, Sänger und Mundharmonikaspieler zum letzten Mal auf der Bühne gesehen habe: das Reunion-Konzert von Cream in der Londoner Royal Albert Hall im Mai 2005.

Obwohl mir natürlich klar ist, dass Jack Bruce noch viel mehr war als der einstige Bassist von Cream, hier nun statt eines Nachrufs noch einmal meine Eindrücke von der Cream-Reunion 2006:

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Cream, Royal Albert Hall, London 02.05.05

Es war offiziell. Was niemand mehr für möglich gehalten hätte. Fast 37 Jahre nach ihrer Auflösung tun sie sich wieder zusammen. Cream, die englische „Supergroup“, die in den 60er-Jahren die Popmusik verändert hatte, geben vier Konzerte in Originalbesetzung in der Royal Albert Hall, London. Am selben Ort, wo sie am 26. November 1968 zum letzten Mal unter Kreischen des Publikums und Pfeifen der Verstärker die Bühne verlassen: „Thank you, goodnight!“ Das war’s. 1968. Goodbye Cream!

Und niemals würden sie zurückkehren. Eine Reunion könne nur ein langweiliger Nostalgietrip werden, hatte ihr Gitarrist Eric Clapton gesagt. Immer wieder, wenn die Gerüchte blühten. Nach 10, nach 25, nach 35 Jahren. Keine Reunion!

Und jetzt das: Cream spielen am 2./3./5./6. Mai 2005.
Via Internet verbreiten sich Nachrichten wie ein Flächenbrand. Alte und junge Fans spielen verrückt. Wann und wo gibt’s Karten? Und überhaupt: soll man da hin? Langweilige Nostalgieshow alter Männer? Oder Sensation? Karten werden nur bei einer einzigen Internetadresse zu bekommen sein. Ab Montag, 31.1., 10 Uhr.

H.P. Daniels
H.P. Daniels

Plötzlich ist es wie ein Fieber. Wir wollen da hin. Müssen da hin. Nach London. Zu Cream. An jenem Montag sitzen wir an mehreren Computern, in verschiedenen Büros. Kein Durchkommen auf der Website. Alles blockiert. Systemabsturz. Zum Verzweifeln. Aber dann: Bingo! Eine von uns kommt durch. Miss Bjutsch hat’s geschafft. Eine für alle. Wir haben Karten. Wir fahren. Wir fliegen.

Nach zwei Stunden war alles ausverkauft. Wie 1968, wo es auch nur 2 Stunden gedauert hatte, ohne Internet. Doch keiner von uns wäre damals auf die Idee gekommen, für ein Cream-Konzert nach London zu reisen. 1968 war noch Schule.


Cream Reunion – Das ganze Konzert, Mitschnitt – Royal Albert Hall

Royal Albert Hall London May 2-3-5-6 2005
Jack Bruce
Eric Clapton
Ginger Baker

Was weiß man schon, was vor einem liegt, wenn man jung ist? Am 26.11.1968 ist der Gitarrist Eric Patrick Clapton 23, Bassist John „Jack“ Bruce 25 und Drummer Peter „Ginger“ Baker 29 – als sie das letzte Mal mit „Cream“ auftreten. Und sie haben eine Menge hinter sich.

Clapton war bereits 1964 gefeierter Leadgitarrist der Yardbirds, die er 1965 wieder verlassen hatte, weil sie dem Blues-Puristen zu „kommerziell“ geworden waren. Er wurde zur Attraktion von „John Mayall’s Bluesbreakers“, die Fans bejubelten ihn als „besten Gitarristen der Welt“. „Clapton Is God!“ erschien als Graffiti auf Londoner Hauswänden. Schmeichelhaft, aber schwer zu verkraften für den damals erst 20-jährigen Verehrer schwarzer amerikanischer Bluesgitarristen wie Robert Johnson, B.B. King und Freddie King. Clapton wollte gut Gitarre spielen, wollte auf der Bühne stehen, im Scheinwerferlicht. Mit einer guten Band. Aber Gott sein wollte er nicht.

Er war noch bei den Bluesbreakers, als ihn Ginger Baker 1966 fragte, ob er mit ihm eine neue Band gründen wolle. Er wollte, doch nur, wenn auch Jack Bruce mitmachte. Der ließ sich nicht zweimal fragen, und verließ die Band von Manfred Mann, die gerade mit „Pretty Flamingo“ einen #1-Hit gelandet hatte.

Und weil sich das Trio Baker, Bruce und Clapton als die Crème de la Crème der englischen Musikszene empfanden, nannten sie sich Cream.

Erinnerungen? „An was soll ich mich erinnern?“, sagt Miss Bjutsch, „da war ich doch erst elf!“ Erstaunlich viele, die jetzt so aufgeregt sind wegen der Reunion in der Royal Albert Hall, waren damals noch nicht mal geboren. Die meisten sind Fans von Eric Clapton. Haben durch ihn rückwirkend die „Legende“ Cream wiederentdeckt. Und die wilden Zeiten. Hatten sich die Platten gekauft, 30 Jahre später. Und jetzt die Chance, Cream doch noch einmal im Konzert zu erleben, sagen sie. Da soll man nicht aufgeregt sein? Die Alten sind gelassener. Skeptischer. Wird Ginger Baker noch die Stöcke halten können? Nachdem man ihn so oft totgesagt hatte? Wo war er überhaupt die letzten Jahre? Eine Weile in Afrika, heißt es. Und hat zuletzt mit Charlie Haden und Bill Frisell in einem Jazz-Trio gespielt. Und seit einer Weile schon betreibe er bei Denver den „Mile High Polo Club“. Kneipe oder Sportverein?

Und Bruce? Würde der noch ein ganzes Konzert durchhalten? Nach seiner schweren Krankheit? Und Lebertransplantation im September 2003? Und ob nicht auch Clapton inzwischen über den Zenith seines Schaffens hinweg wäre. Ob der sich nicht nur noch in ausgelutschten Klischees wiederholte? Quatsch! Das wird prima! Das wird unglaublich!

1967 begann sich die Musik in England zu verändern. Die Beatles experimentierten mit Drogen und neuen Klängen. Die Rolling Stones rutschten in eine schlechte Phase. Die Haare wurden länger, die Kleidung bunter. Die klassische Popsingle, der gute alte Drei-Minuten-Song, geriet ins Hintertreffen. Zugunsten der LP, Langspielplatte – großes, schwarzes Vinyl.

Und alles schmilzt und fließt. Ineinander. Umeinander. Durcheinander. Kunst, Mode, Poesie und Musik. Protest und Rebellion. Haschisch. LSD. Beat, Rock, Jazz, Folk und Blues. Alles schien möglich. Und mittendrin diese schillernde neue Band aus „Swinging London“: CREAM.

Am 27. Februar 1967 spielen Cream im Star-Club, Hamburg. Ihr erster Auftritt in Deutschland wurde symbolisch für eine neue Ära. Signalisierte das Ende der „Beat“-Bands. Zu deren Musik noch getanzt wurde. Oder mitgesungen. Ausgelassen und fröhlich. Cream machten Ernst. Keiner dachte mehr ans Tanzen. 1200 Leute, viele in weißem Hemd und schwarzen Schlips, und mit Beatlesfrisur, waren in den engen Star-Club gequetscht und starrten mit offenen Mündern zur Bühne. Und wussten nicht so recht, was sie von diesen Typen da vorne halten sollten. Von dieser neuen Musik: „Babbab-Baah-Babbab – I Feel Free“. Ein bizarres Gebräu aus Gitarre, Bass und Schlagzeug. Psychedelisierter Hochspannungsblues mit frei fließenden Jazzelementen. Clapton, mit dauergewellten Afrolocken und buntem Blumenhemd, jagt mit seiner Gibson-Gitarre gewaltige Klangewitter in den Saal. Durch Wah-Wah-Pedal, Verzerrer und riesige Marshallverstärker. Stehende Töne, Hall und Feedback. Verzieht das Gesicht dabei zu eigenartigen Grimassen.

Der kleine Jack Bruce spielt den Bass ungewöhnlich melodiös und fingerfertig, wie ein Soloinstrument.

Und in der Mitte, mit zottelig roten Haaren, verquollenen Augen, und vom Heroin verrotteten Zähnen: Ginger Baker, der erste Drummer mit zwei Bassdrums. Die ganz vorne am Bühnenrand festgenagelt sind. Bei ihm fliegen die Rhythmen. Wie die Arme und Beine, Handgelenke und Füße. Mit Stöcken und bloßen Händen. Immer in Bewegung. Und Gegenbewegungen, und doch so präzise im Einklang. Und ganz hoch oben über allem weht die eigenartige Stimme von Jack Bruce. So etwas hatte man in Deutschland noch nicht gehört, nicht gesehen. Nicht mal im Star-Club. Es war das Ende vom Beat. Ende der Schuppen und Tanzdielen. Anfang vom Ende des Star-Clubs. Cream waren keine Beat-Band mehr. Sie waren die erste Rock-Band.

Erinnerungen jemand? Vor der Royal Albert Hall. London 2005. Was haben die Tickets 1968 gekostet? Weiß keiner mehr. Bei eBay lagen jetzt die letzten Gebote bei 500-1000 Euro. So hoch im Kurs sind Cream immer noch. Einem Fan aus Heidelberg ist es 2400 Euro wert, alle vier Konzerte zu sehen. Wir haben „nur“ 200 Euro bezahlt, regulär, dank Miss Bjutsch.

Keiner drängelt in den Schlangen vor der Albert Hall. Disziplinierte Engländer. Dazwischen vereinzelt Holländer, Italiener, Dänen. Und erstaunlich viele Deutsche.

Erinnerungen jemand?

1967/68. Die schrillen Plattenhüllen von Cream. Collagen aus Farb-Blubbern, blumigen Ornamenten und Fotos. Vom LSD-Künstler Martin Sharp. Der hatte mal mit Clapton zusammengewohnt, weiß jemand. Und irgendwann ist er nicht mehr vom LSD-Trip runtergekommen, weiß ein anderer. Gelächter.

Die psychedelischen Jahre waren ein ständiges Rauschen. Ineinander. Übereinander. Bilderrausch. Farbrausch. Rauschende Wörter in den Lyrics des Cream-Texters Pete Brown. „SWLABR“ hieß ein Song. Was soll das denn bedeuten? „She Walks Like A Bearded Rainbow“. Ach so. Klangrausch. Was auf den drei Studio-LPs „Fresh Cream“, „Disraeli Gears“ und „Wheels Of Fire“ noch relativ strukturiert wirkte, geriet während der Konzerte aus den Fugen. Was entstanden war aus der Not, zu wenig Songs im Programm zu haben, wurde zum Markenzeichen: endlose Improvisationen, nicht enden wollende Solos. Und Baker wurde zum Pionier des später so berüchtigten Schlagzeugsolos. Trunkene Trance.

Ein paar Jahre später wollte niemand mehr so etwas hören. Oder spielen. Am wenigsten Eric Clapton selbst.

Exzessive Tourneen durch die USA hatten an den Nerven der Musiker gezerrt. Dazu kam die Langeweile, der Überdruss, jeden Abend dieselben Stücke spielen zu müssen. Und die Streitereien zwischen Bruce und Baker. Schon vor ihrer Zeit mit „Cream“ waren sie gemeinsam bei Alexis Korners „Blues Incorporated“ und bei der „Graham Bond Organisation“ eine zusammengeschweißte Einheit. Unschlagbar als Rhythmusgruppe, verstanden sie sich musikalisch vorzüglich, und konnten sich persönlich nicht leiden.

Vielleicht hatten sie genau zum richtigen Zeitpunkt aufgehört. Clapton, Bruce und Baker hatten eine Menge hinter sich. Und 35 Millionen Platten verkauft. Cream sei nur ein großer Schwindel gewesen, sagte Clapton später. Und irgendwann hatte jeder von ihnen ohnehin andere musikalische Vorstellungen. Bruce wollte Jazz spielen, Clapton interessierte sich mehr für Bob Dylan und The Band.

Der Mythos „Cream“ wuchs mit den Jahren. Jahrzehnten. Je länger die Band nicht mehr existierte, desto bedeutender schien sie zu werden. In den Erinnerungen. In den Vorstellungen.

Am 12.1.1993 spielten Baker, Bruce und Clapton drei Songs zur Feier ihrer Aufnahme in die „Rock ’n‘ Roll Hall Of Fame“. „Sehr lahm!“, sagt einer in der Schlange vor der Royal Albert Hall, das sei nicht doll gewesen! Andere protestieren. Große Klasse sei das gewesen. Und weil es so gut war, wollten Bruce und Baker damals schon die Reunion. „Ach, die brauchten doch nur Geld“, mischt sich einer ein. „Und Clapton brauchte keins. Der war ja inzwischen ein weit größerer Star als damals“. Die Spezialisten reden sich in Rage. Was die beste LP war? Der beste Song? Und was sie wohl heute spielen würden. Und vor allem wie? Die Aufregung wächst.

Ältere Herren werden ein bisschen wie Kinder. Etwas Rührendes hat auch die Begeisterung als Cream, die anderen älteren Herren, auf die Bühne kommen! Alle über 60 inzwischen und sichtlich nervös, angespannt. Wird es gutgehen? Oder wird ein Mythos zerstört? Clapton, in türkisblauem Cowboyhemd pickt das Intro aus der schwarzen Stratocaster: „I’m Glad“. Bruce, puckert in den dunkelroten Violinenbass, singt den nächsten Song: „Spoonful“. Und Ginger Baker, der in seinem ganzen Leben vermutlich noch nie so gesund ausgesehen hat, mit Brille, kurzen grauen Haaren und schönen neuen Zähnen, spielt seine vielen Trommeln immer noch mit Biss. „Schön, dass ihr all die Jahre auf uns gewartet habt“, sagt Clapton.

Die Fans toben, und gleichzeitig ist es eine fast feierliche Stimmung im rot-goldenen Saal der schönen Royal Albert Hall, zu deren Eröffnung 1871 hier ein erstes Konzert stattgefunden hatte, und deren Restaurierung im letzten Jahr abgeschlossen wurde. Ein fast intimer Rahmen für ein Rockkonzert auf relativ kleiner und niedriger Bühne, die auf der Rückseite gesäumt ist von einer Art Bande, auf die ab und an neopsychedelische Blubber projiziert werden.

Sonst gibt es nichts, was ablenken könnte von den Musikern und ihrem Sound, der immer brillanter wird zunehmend selbstsicherer und entsprechend hypnotischer. Die Stimme von Bruce wird immer kräftiger, durchdringender: „Politician“. Und Clapton zieht schwere langsame Noten übers Griffbrett, sprechend, jaulend, wimmernd. Drückt den Oberkörper durch, biegt ihn mit dem Ton nach oben, verzieht das Gesicht. Und wenn ihm gerade eine besonders schöne Passage gelungen ist, antwortet Baker mit einem kleinen Zustimmungsroll über die Toms, die immer noch genauso waagerecht hängen wie vor 37 Jahren. Und dreht lässige Beckenschläge aus den Handgelenken. Jetzt schauen sie sich sogar an, grinsen über kleine Ausrutscher und scheinen immer mehr Spaß an der Sache zu bekommen. Kommen richtig in Fahrt.

Bruce jagt seine Harmonica wie einen rasenden, pfeifenden Zug den Berg runter, während Baker Schienenschlag dazu hämmert und Clapton mit dem Bottleneck mitschliddert. „Born Under A Bad Sign“, „Crossroads“, „Sitting On Top Of The World“, „White Room“.

Nach jedem Song springen die Zuhörer von den Sitzen, reißen die Arme in die Höhe. Bruce und Clapton gehen von der Bühne, umarmen sich, während Baker seinen großen Auftritt bekommt. Der Wegbereiter des Schlagzeugsolos im Rock, das später durch die vielen Nachahmer berüchtigt wurde, spielt sein Schlagzeugsolo. Und straft all jene Lügen, die ihn schon vor Jahren abgeschrieben haben. Er kann es noch. Und bleibt vielleicht der einzige, von dem man noch ein Drumsolo hören will. Die anderen kommen zurück. Zugabe. „Sunshine Of Your Love“. Goodbye, nach zwei Stunden. Und alle sind glücklich. Der Mythos hat gehalten. Und wenn sie auch keine musikalischen Erneuerer mehr sind, spielen sie ihre Musik heute sogar besser als damals. Dynamischer, klanglich ausgewogener, gefühlvoller. Glücklich wer noch die nächsten Auftritte erleben kann. Aber 1800 Euro?

H.P. Daniels

Ungekürzter Originaltext zum Artikel „Die drei Faltigen“, Tagesspiegel 04.05.05

(blackbirds.tv dankt H.P. Daniels sehr herzlich für diese Dreingabe aus gegebenem Anlass)

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