Da ist es. Es war keine einfache Geburt, denn ich war in diesem Jahr shice faul, was die Produktion von Musik betrifft, auch wenn das nicht wirklich was macht, denn Musik wird immer dann am besten, wenn sie raus soll, raus muss. Dieser Sound ist ganz ich – alles was ich in diesem Jahr besonders gerne mochte, steckt da drin. Natürlich viele kleine Melodien, viel Bass, verdammt viel Liebe, sehr wenig Four-on-the-floor. Weil ich genau das im Moment ziemlich über habe. Ich mag diese neun Tracks. (Ronny Kraak über seine Arbeit) – Link unten
Ronny Kraak kommt aus Potsdam und nennt sich und was er macht das „Kraftfuttermischwerk“. Soweit ersichtlich handelt es sich dabei um ein Blog gleichen Namens, auf dem Kraak nachdenklich, ihm gemäße Notizen zur derzeitigen Befindlichkeit veröffentlicht. Hinzu gesellt sich ein Twitter-Channel, auf dem er mir bereits vor längerem als witziger, eloquenter Zeitgenosse aufgefallen ist. Erst ein wenig später „schnallte“ ich, dass Ronny Kraak auch Musiker ist. Aktuell möchte ich sein neues Album „Kleines Ganzes“ mit Euch besprechen, dessen gesamter Inhalt auf seiner Website unter einer „creative commons“-Lizenz (kostenlos) downzuloaden ist.
Das Kraftfuttermischwerk – Kleines Ganzes by Das Kraftfuttermischwerk
Um es abba-esk zu sagen: Thank You for the Music! – Das ganze Album downloaden: Siehe unten, dort ist der Deeplink zum Download
Bei seiner Arbeit an insgesamt neun Stücken weitgehend elektronischer, squärischer Musik zwischen kürzestens 4:08 Minuten und längstens 6:58 Minuten Spiellänge habe er es sich nicht leicht gemacht, sagt er. Und das glaubt man auch. Die Stücke sind sehr gut, transparent und ergebnisoffen aufgenommen. Sie sind nicht überfrachtet mit elektronischem Schnickerdöns, sondern diszipliniert arrangiert. „Blaues Warm“ ist eine Soundkulisse von 5:23 Minuten.
Das Stück „Blattfedern“ erinnert uns persönlich an frühere Aufnahmen von Edgar Froese und Tangerine, ergänzt um einen synthetischen Schlagzeugsound, wie ihn die Düsseldorfer Ralf Schneider und Florian Hütter unter dem Namen Kraftwerk einst anwendeten. Die Musik kommt so frei und unverhohlen daher, dass dem Hörer nun nur noch die Frage umtreibt, warum Ronny Kraak hier keine „dufte, schwarze Gesangsperle“ im Glitzerkleid vor seine Synthies da hinstellt, etwa eine Shirley Bassey (erinnert an Yello: „The Rhythm Divine“) oder eine indische Spezialagentin namens Mata Hari. Überhaupt: Ein Worldmusik-Aspekt fehlt nicht, sondern könnte da noch hineingelangen.
„Heimatkunde“ fängt langsam wabernd an. Irgendwann steht man gedanklich auf einer irisch anmutenden, saftigen Äseweide mit mähenden Schafen und kurz vor der Uferdünung. Prile, Sile, Stau- und Wasserklappen verhindern die Gezeiten-Hochbewässerung des satt in grün getränkten Uferstreifens an der Ostsee. Seltsam nur, dass derlei für gewöhnlich nur an der Nordsee gang und gäbe wäre. Ein rothaariger, knollnasiger Ire säuft Tullamore Dew und hüpft sturzbetrunken über die zu niedrig gezogenen Schafszäune. Mähhhh!
Das Stück „Butterflies in Hell“ (Schmetterlinge zur Hölle, etwas freier übersetzt) klingt wie Brandenburg-Land „auf Pille“. Irgendwo machen sich die Menschen in den Städten und Gemeinden Sorgen darüber, dass Brandenburgs Grundwasser immer mehr versinkt unterhalb der Erdoberfläche. Damit das nicht passiert und Brandenburg zusehends verkarstet, müssen wir Brandenburger Rotz und Wasser heulen, um dem entgegen zu tränken, was längst keiner mehr glaubt. Nein, die Schmetterlinge werden nicht zur Hölle fahren. Sollte das Album „Kleines Ganzes“ am Ende gar eine Art „da Vinci-Code“ enthalten zur Rettung der emotionalen Feuchtgebiete auf der Landoberfläche von ganz Brandenburg?
Die Musik vom Kraftfuttermischwerk ist seltsam ätherisch. Einerseits ist sie vollständig und kann so bleiben. Andererseits würde sie gerade im „Mashup“ mit sagenhaften Gesangsstimmen noch erheblich gewinnen. Hinzu kämen dann nämlich erinnerungshalber denkbare Gesangslinien, derer man sogar gern erinnert. Ich hatte Shirley Bassey beispielhaft angefordert. Aber auch Sting (Ersatz in Berlin: Ron Spielman) könnte ich mir zu dieser Musik singend gut vorstellen.
„Selbstdurchschreibend“ und „Mittelmark im Nebel“ (Aha!! Das ist es) schließen sich an „Butterflies in Hell“ an. Dann „GPG Immergruen“, eine Art virtueller Laubenkolonie, da draußen auf dem Lande. Mittelmark, etwas Fläming und dann noch Oberhavel, Wustrow-Dosse und Kyritz an der Knatter.
Hier und da könnte ein Jean Michel Jarre noch „orgiastische“ Höhenflüge dazu steuern oder ein Vangelis. Noch bin ich im Durchhören des Tonträgers zu sehr gefangen in meinen konventionellen Gedanken. Wenn mir überhaupt zusteht, dazu etwas zu sagen, dann ist es erstens ein herzliches „Chapeau“. Ich finde, dass der Tonträger eine beachtenswerte, kompositorische und konzeptionelle Meisterleistung in der Sparte „elektronischer Musik“ darstellt. Er hat aber auch etwas Eigenbrötlerisches, etwas von im eigenen Saft schwimmen. Das ist einerseits positiv, es ist originär und unverwechselbar. So wie das auch einige andere elektronische Musiker haben, eigenbrötlerisch zu sein, etwas von „im stillen Kämmerlein wurschteln“, schrauben, drehen, tüfteln.
Merke: Was ich mir von elektronischen Musikern mehr wünschen würde, dass sich zum Faktor „tüfteln“ auch noch ein Quantum „lüfteln“ hinzugesellt. Das wäre der Faktor Mensch, das „menscheln“. Ja, dann sind die Sache präzise, quantisiert und irgendwie in sich abgeschlossen. Alles ist gut, wie es ist. Doch jetzt noch eine Prise „Fremdmensch“ rein, eine Influenza, eine göttliche Beeinflussung des ätherisch zu Ende gedachten Plotts. Ein zartes Stimmchen von einer wunderschönen Frau, ein Sopransaxophon wie von dem Berliner Musiker Volker Schlott. Bzw. die Stimme einer Jocelyn B. Smith, die u.a. Plan B´s „Life´s a beat“ gesangstechnische veredelte. Ein Trompetensolo von Skip Reinhart?
Das haben wir auch schon anderen Musikern in Berlin-Brandenburg ins Gebetsbuch geschrieben: Alle machen irgendwas, viele mit vielen anderen. Was mir persönlich immer ein bisschen fehlt, ist eine Art „Grenzüberschreitung“ ein „mixing of all styles“, mit der Folge, dass sich vollkommen Neues gänzlich neu zusammenfügt. So wie es vorher noch nie da war. Jaja, ich weiß: Das Rad muss in Sachen populärer Musik bestimmt nicht mit meinen kostenlosen Servicehinweisen neu erfunden werden. Wir könnten es aber mal versuchen! Merke: Weltkarrieren werden niemals im bereits hinlänglich Erwarteten geboren!
Oder als Harfenadditiv von Simonetta Ginelli? Simonetta Hauptstadtharfe, sozusagen als „digestif royale„? Als „brüllende Creme de la creme“-Zugabe jener göttliche Gesang, siehe oben? Zugegeben: Das alles sind verrückte Gedanken. Aber die Kritik erhebt auch den Anspruch, dasjenige zu benennen, das dem veröffentlichten Zwischenstadium interessanter, guter Musik noch „ein Sahnehäubchen“ aufzusetzen imstande wäre. Wie jetzt, Zwischenstadium? Richtig. Bekanntlich kann kaum ein Musiker auf der ganzen Welt von sich sagen, dass er am Ende seines Weges ein Album habe veröffentlichen wollen, von dem nun alle sagen: Das ist fertig. Musik ist und bleibt im Fluss, verändert sich, mäandert von hier nach da und kommt immer wieder aufs Neue um ganz andere, unerwartete Straßenecken. Mindestens aber in unserer Vorstellung.
Schließlich bildet „Diskontext“ noch das beste Stück, aus schlagzeugerischer Sicht. Hier bricht der „zu starre“, anderweitig gebrauchte beat etwas auf und es fängt sogar an zu swingen, bis die Bassdrum wieder stur losläuft. Gar nicht vorzustellen wagt man sich, wie das konsequente Durchhalten swingender Beats gewirkt hätte? Okay, Spekulation. Lassen wir das.
Jedenfalls ein tolles Album und wer noch Platz auf seinem mp3-Player hat, ist herzlich eingeladen, sich das Audiomaterial „für umme“ (kostenlos) von der Website vom Kraftfuttermischwerk downzuloaden. Ohnehin lohnt der Besuch der Website: Von den vielen „Bläken“ draußen im Lande, die wichtig finden zu bloggen, ist Ronny Kraak einer der Besten. Besuchsempfehlung.
- Downloadlink: Das Kraftfuttermischwerk-Album „Kleines Ganzes“
- Lesetipp: Das Kraftfuttermischwerk – Blogg
(EP)
toller text für ein tolles album, hab mich köstlich amüsiert.
Der Rezensent dankt! Und fand noch Schreibfehler. Ob die strenge Konrektorin dieser Website sie findet? Haha….
Ich danke! 😉