Sa. Dez 14th, 2024
Sven Haeusler (mit Genehmigung)
Sven Haeusler (Quelle: Privatarchiv)

 

Die 90er Jahre. Ein musikalisch extrem vielseitiges Jahrzehnt. Eine Hochzeit des HipHop, Geburtsjahrzehnt des Grunge und natürlich von Techno (und Tekno, Tekkno, und Tekkkno).

Dazwischen ein Pflänzchen namens Acid Jazz und allen möglichen dazugehörigen Ausläufern, die irgendwie alle „Lounge“ waren. Die Engländer haben es (mal wieder) in der Form von Bands wie „Galliano“ und „The Band New Heavies“ vorgemacht, wie sich Trends aus den Clubs popmusikalisch aufbereiten lassen.
Wie so oft hat es nicht lange gedauert, bis diese Welle auch Deutschland erreichte und beispielsweise Formationen wie Reality Brothers oder Jazzkantine hervorbrachte und Songs wie Tag am Meer von den Fantastischen 4.

Auch 2 junge Musiker aus Hamburg und Berlin haben 1992 Gefallen an diesem weichen, sehr traditonsbewussten Sound gefunden. Zum Glück sind Bela Brauckmann und Peter Hinderthür damals bei der Komplettierung ihrer Band auf eine Berliner Sängerin gestossen, die ihrer Musik im weiteren Verlauf zur verdienten Aufmerksamkeit verhalf: Astrid North.

Ein Name, der schon vom Klang her Großes verspricht.
Nina Simone, Aretha Franklin, Astrid North.
Für mich liest sich das sehr flüssig und selbstverständlich weg.

Die Band wurde dennoch „Cultured Pearls“ getauft, schließlich handelte es sich ja nicht um ein Soloprojekt.

Astrid North (* 1973 † 26.06.19) #Gedenken #InMemoriam
Astrid North (* 1973 † 26.06.19) #Gedenken #InMemoriam (Größere Ansicht – Aufs Bild klicken!)

 

Persönlich kennengelernt habe ich Astrid gleich zu Beginn der 90er Jahre. Mit meiner damaligen Band „Big Light“ haben wir gerade an unserem ersten „richtigen“ Album gearbeitet. Und weil wir als Band freundschaftlich mit Bela und Peter verbunden waren, haben wir unserem hannoveraner Produzenten deren Demoaufnahmen vorgespielt. Für diesen kleinen Gefallen wurde ich für die kommenden ca 26 Jahre fürstlich belohnt: Astrid kam in mein Leben!

Besagter Produzent begann, mit Cultured Pearls zu arbeiten und so ergab es sich, dass Astrid 1994 auf unserem zweiten Album und auf dem darauf enthaltenen Song „Trouble Is“ die Backing Vocals sang. Einfach, weil sie auch gerade im Studio war. Und vermutlich auch, weil sie das Geld gut gebrauchen konnte. Sympathie war bestimmt auch mit im Spiel.

Der Song wurde ein Radio-Hit und sorgte für einigen Anschub für unsere anstehende Tournee. Da wir zwar ultrahoch-motiviert und megahoch-energetisch, jedoch bis auf unseren Lead-Sänger gesanglich echt miserabel aufgestellt waren, nahmen wir Astrid als Backing-Sängerin mit auf Tour.

Was hier so einfach klingt, war allerdings das Ergebnis eines längeren Prozesses.

Ich erinnere mich, dass viele Gespräche mit Astrids sehr beschützender Mutter (no offense, Sondria!) geführt werden mussten. Schlafenszeiten wurden ausgehandelt. Verantwortlichkeiten wurden abgesprochen und zugesichert. Schliesslich war es noch knapp die pre-Handy Zeit.

So erhielt Astrid auf der folgenden Tour den Beinamen „Küken“ von uns.

Sie war die jüngste von uns und wir nahmen trotz des eher geringen Altersunterschieds unsere Verantwortung als Band ihr gegenüber (und erst recht ihrer Mutter gegenüber!) sehr ernst. Unser Umgang miteinander in den darauffolgenden Wochen hatte etwas so familiär-liebevolles, dass diese Zeit für mich zu den schönsten Erinnerungen meiner inzwischen beendeten Musiklaufbahn gehört.

Der Song „Trouble Is“ gehörte zu den Höhepunkten unserer Konzerte und der diversen TV-Auftritte und wir waren irgendwie stolz und glücklich, Astrid an dieser Aufmerksamkeit teilhaben lassen zu können. Weil dieses Lied auch immer ein wenig „ihr Lied“ war.
Für sie war es meines Wissens die erste (naja – mehr oder weniger) professionelle Tournee ihrer angehenden Musikkarriere. Dass eine Fotocollage dieser Tour mit der Aufschrift „Happy Birthday, Küken“, die wir ihr zu ihrem 22. Geburtstag geschenkt haben, bis heute ihr Zimmer „schmückt“, ist ehrlich gesagt das schönste Geschenk, das sie mir hinterlassen konnte.

Das gemeinsame Touren war dann ab 1996 nicht mehr möglich, die Veröffentlichung des ersten Cultured Pearls Albums „Sing Dela Sing“ und der immense Erfolg von „Tic Toc“ und „Sugar Sugar Honey“ haben Astrids Zeit zu sehr in Anspruch genommen. Es folgten bis 2002 drei weitere Cultured Pearls-Alben, sieben Singles, unzählige Konzerte und Tourneen, Videodrehs, TV-Auftritte und Promotionreisen. Und schliesslich die (nie offiziell ausgerufene) Trennung der Band.
Es war nicht zuletzt Astrids Hadern mit dem kommerziellen Druck und den Erwartungen der Geschäftspartner, das zu dieser Trennung führte. Und ich bin ziemlich davon überzeugt, dass sie ihre Bandkollegen Bela und Peter damals in endlosen Diskussionen nahezu um den Verstand gebracht hat. Ich weiss aber auch: ihrer Liebe zueinander hat das alles bis heute keinen Abbruch getan.

Die 2003 veröffentlichte Best Of DVD „Pearls of a Decade“ von Cultured Pearls war dann einer meiner ersten professionelleren Schritte als Filmemacher. Ich durfte eines der letzten Konzerte der Band filmen, sowie eine Dokumentation über die Historie der Band produzieren, wofür ich ihnen bis heute dankbar bin.

Rückblickend erscheint mir die Zeit von Cultured Pearls wie ein „Schlüpfungsprozess“ von Astrid.
Gerade noch hatten wir einen Schützling mit auf unserer Tournee und plötzlich stand dort diese unglaublich anmutige, schöne, mit einem unfassbaren Talent gesegnete Frau auf der Bühne, die mich mit ihrer Stimme so dermassen berührte, wie es bis heute keine andere Stimme vermag. Wie sehr ihr Selbstbewusstsein und -verständnis und ihr Glücksempfinden mit der Tätigkeit des Singens zusammenhing, zeigte sich meist zwischen den Songs, wenn ihr während der Ansagen die Eloquenz verloren ging. Sie machte es wett durch Charme und einer Ausstrahlung, wie sie nur ganz wenige Sängerinnen in Deutschland besitzen oder besassen.


Astrid North · Lightning @ Inas Nacht

I feel like I´m one step away from lightning
I know I´m lucky but i´m frightened
I feel like I´m one step away from lightning
I know I´m lucky but I´m frightened

Astrid North „Lightning“, Textauszug (Video)

Für mich stand stets fest, dass es Astrids Live-Stimme ist, die ich auf meiner Hochzeit hören möchte und die auf meiner Bestattung zu hören sein soll. Zu beidem wird es nicht kommen und das ist für mich noch nicht begreifbar.

In der Zeit nach 2003 hat sich Astrid ihrer Rolle als Mutter angenommen und sich neu orientiert. Hat Charity Projekte unterstützt, 2006 ihr zweites Kind bekommen, daneben Gastauftritte bei der Soulounge, Joo Kraus und Little Red Riding Hood absolviert und an diversen Kollaborationen teilgenommen, zum Beispiel mit Bobby Hebb, den sie 2006 bei der Neuauflage seines Hits „Sunny“ begleitete.
Jeder, der in einer ähnlichen Situation steckt, weiss, was für eine Kraftanstrengung dahinter steckt, Kinder, Beziehung, Geldverdienen und Musikmachen miteinander zu vereinbaren. Ich habe Astrid nie darüber klagen gehört.
Es schien, als könne sie die Anstrengungen weglachen. Manchmal auch wegweinen.
Denn Familie und Freundschaft waren für sie heilig. Sie gehörte zu den sehr wenigen Menschen, die sich stets zuerst nach dem Befinden des Gegenübers erkundigen, bevor sie über sich selbst erzählen. Sich mit ihr durch den Bergmannstrassen-Kiez zu bewegen erforderte Zeit. Sehr viel Zeit. Weil sie jeden kannte und sich für jede Person einige Sätze Zeit nahm. Egal, ob Kiosk-Betreiber, Nachbar oder Postbote.
Als Kind und Jugendliche hat sie viel Zeit in Houston bei ihrer Großmutter, Cousins und Cousinen verbracht, mit denen sie sich Tanz- und Gesangs-Battles lieferte. Vielleicht hat sie diesen „Community-Spirit“ ja von dort mitgebracht. Das Füreinander-Dasein. Und vermutlich auch die Liebe zum Picknicken.

Es gab allerdings auch eine Zeit, in der es mich frustrierte und manchmal auch wütend machte, wie sehr sich Astrid phasenweise selber im Wege stand, wie sie die helfenden Hände, die sich ihr entgegenstreckten nicht ergriff, sondern verworrene Wege wählte, um ihrer Musik Gestalt zu geben. Und vielleicht nicht immer ein glückliches Händchen bei der Auswahl der Personen besaß, denen sie vertraute.
Irgendwann habe ich meinen Frieden damit geschlossen und akzeptiert, dass sie ihre ganz eigenen Bedürfnisse und Vorstellungen hatte, die sie einfach nicht immer formulieren konnte. Oder noch auf der Suche nach ihnen war.

Vielleicht auch aus diesem Grund erschienen erst 2012 und 2016 ihre Soloalben „North“ und „Precious Ruby“ (das sie ihrer Großmutter widmete).
Nicht alle ihrer Solo-Songs hatten für mich persönlich die nötige Dringlichkeit oder die Portion Einzigartigkeit, die Popmusik besitzen muss, um sich abzusetzen. Ich glaube aber, Astrid war das egal. Weil die Ziele, die sie mit ihrer Musik verfolgte, so unprätentiös und auf faszinierende Weise unschuldig waren. Weil sie eine Musikerin war, die nicht nach Fame oder Aufmerksamkeit giert, sondern die sich nach Erfüllung sehnt. Für die das Musikmachen und das Texten eine Notwendigkeit war, als Mittel der Wahl auf dem Weg zur Entfaltung einer kreativen Energie.

Konsequenterweise hat Astrid in den letzten Jahren (mit großer Unterstützung von Benny Glass) die Veranstaltungsreihe „North-Lichter“ in der Berliner „Bar jeder Vernunft“ durchgeführt, in der sie andere weibliche Musikerinnen präsentierte. Ein (sicherer) Rahmen, in dem sie experimentieren und kollaborieren konnte.

Wer sich mit Astrids Texten beschäftigt, stösst auf Schmerz und Leid. Und auf eine Menge Liebe.
Ich habe kein einziges Konzert von ihr gesehen, bei dem sie nicht geweint hat. Es war ein ehrliches, würdevolles Weinen, das mir jedes Mal vor Augen geführt hat, wie eingeengt und krampfig mein eigenes emotionales Spektrum ist, das ich bereit bin, in der Öffentlichkeit preis zu geben.
Dass sie es geschafft hat, Schwere und Melancholie mit einer beeindruckenden Lebensfreude zu verbinden und beides in sich zu vereinen, eine Parallel-Existenz dieser vermeintlichen Gegensätze stattfinden zu lassen – das hat mich stets beeindruckt.
Sie wird darin immer ein Vorbild für mich bleiben.

Astrid North (Foto: Sven Haeusler, Privatarchiv, mit Dankbarkeit)
Astrid North (Foto: Sven Haeusler, Privatarchiv, mit Dankbarkeit)

Astrid war eine stolze und starke Frau. Eine Kämpferin.
Dem entsprach auch ihr Umgang mit der Krebs-Diagnose im Frühjahr 2018.
Rund 15 Monate später, nach einer intensiven Zeit zwischen Zuversicht und Widerstand, musste sie ihren Kampf im Alter von 45 Jahren am 25.06.2019 beenden und ist nun in einem Zustand, von dem ich irgendwie glaube, dass er ihr schon lange vertraut war. Weil er so friedlich und liebevoll ist.

Mein tiefster Respekt und mein Beileid gilt der von Astrid selbst zusammengestellten Supporter-Gruppe aus Freundinnen, Freunden und Familie, allen voran Daniel Harder, ihrem Lebenspartner und Vater ihrer Kinder, ihren Kindern Chenoa und Juma, ihrer Mutter Sondria und Schwester Onny, sowie
Diana Doko, Diana Dean, Marion Wildhaber, Margit & Axel Sichrovsky, Caro Kraft und Cassie Hoffmann.

Ihr habt Astrid über 1 Jahr lang zur Seite gestanden, ihr letzte Wünsche erfüllt und sie bis zu ihrem Tod begleitet.
Solche Freunde zu haben, sagt so viel über Astrid aus.
Solche Freunde zu sein, sagt so viel über euch aus.

Astrid North (Collage, Sven Haeusler, Privatarchiv, mit Dankbarkeit)
Astrid North (Collage, Sven Haeusler, Privatarchiv, mit Dankbarkeit) Für größere Ansicht aufs Bild klicken.

Auch, wenn es pathetisch klingen mag:
es scheint mir, als sei meine kleine Schwester gestorben und ich bin unendlich traurig.
Was mir bleibt, sind viele Erinnerungen an belebende Begegnungen, an eine lachende und eine weinende Astrid, sowie zum Glück viele Aufnahmen ihrer Stimme, die mich weiterhin so tief berühren werden.

Ich werde die Schwere des Lebens in Zukunft so zelebrieren, wie Astrid das in ihrer Musik getan hat.
Und das wird Freude in mein Leben bringen und mir Energie geben.

Sven Haeusler
mit viel Unterstützung von Diana Doko
01. Juli 2019

Weiterführend

 

Wissenswertes über den Gastautor

Sven Haeusler (* 4. September 1968 Berlin), deutscher Regisseur, Filmemacher, Musikproduzent und ehemaliger Musiker. Ende der 1980er Jahre bis 1997 gehörte Haeusler der Musikgruppe Big Light an, mit der er drei Alben und diverse Singles veröffentlichte. Im Anschluss betrieb er ein Tonstudio namens „svenson suite“ und war als Musikproduzent und Remixer tätig, unter anderem mit und für Lemonbabies, Le Hammond Inferno, DJ Maxwell, Herbert Grönemeyer, Diane Weigmann. Von 2000 bis 2002 Mitglied und Produzent der audio-visuellen Band cam-era, bei der auch er die Videoclips verantwortete. Seit 2003 unter dem Namen svenson suite Regisseur und Filmemacher. Zu seinen Arbeiten gehören die DVD Peter Fox & Cold Steel – live aus Berlin (2009), Udo Lindenberg-MTV-Unplugged live aus dem Hotel Atlantic 2011 und die Musikdokumentation Aufnahmezustand für den Sender ZDF, bei welchen er für die Regie und Produktion verantwortlich war. Im Jahre 2013 führte Sven Haeusler unter anderem bei der Tourdokumentation The BossHoss – Under Their Skin Regie. Im Jahre 2015 führte Sven Haeusler unter anderem die Regie bei der Tourdokumentation Helene Fischer – Momente, dem Konzertfilm Helene Fischer – Farbenspiel Live – Die Stadion-Tournee und bei MTV-Unplugged mit Revolverheld. Sven Haeusler war Betreiber und Produzent des monothematischen Videointerviewmagazins Iseevoices. Johnny Haeusler ist sein Bruder. (Mit Wikipedia)

(Abdruck und Wiederveröffentlichung mit Genehmigung des Gastautoren Sven Haeusler. Wir bedanken uns. Liebe & Licht, der Herausgeber)

#astridnorth #nachruf

Let Love Rule! Sending hearts! (gif)

(Dieser Beitrag wurde mit Liebe geflutet.)

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