Es war nicht nur zu vermuten. Es war eine Frage der Zeit. Das Berliner Musikhaus JustMusic (früher: Sound- und Drumland) schließt. Wann genau, ist unklar, berichten übereinstimmend verschiedene Medien. Damit ist die letzte der früher vier bundesweiten Fachgeschäfte für Musikinstrumente zu. Wir berichteten (über drei von vieren, am 04.09.2020)
Die ganze Branche steht jetzt am Ende einer Entwicklung, die sich seit langem angekündigt hat. Die Zeichen waren nicht zu überhören. Was die Musikmesse Frankfurt/Main betrifft, veröffentlichte ich grundlegende Kritik hier (am 09.04.2016) und weitergehend hier (am 06.04.2019). Nun ist der Berichterstatter (das bin ich) beileibe kein Branchengenius. Vielmehr sehe ich die Branche als Betroffener.
Der Tagesspiegel berichtet am 17.01.2024 hinter einer Paywall hier. Mit einem großen Buyout wirft JustMusic zu Sonderkonditionen Equipment raus, 7.000 Quadratmeter Verkaufsfläche müssen beräumt werden. Reduzierte Preise winken.
Verdächtigung Corona: Während verschiedene Medien orakeln, warum die Standorte Dortmund, Hamburg und München früher schlossen, vertraten wir einen bunten Tulpenstrauß abweichende Konzernkritik, besser: Branchenschelte. In Kurzform:
Wie auch immer: Das digitale Portfolio kundiger Webshops erfüllt mitnichten jede notwendige Funktion, wie sie sich aus der Sicht eines Musikers darstellt: Digitalisierung ist auch das Dilemma. Nicht alles kann man virtuell bestellen. Manches MUSS man betasten, anfassen, ausprobieren, um zu einer Entscheidung zu gelangen.
- Eine hart umkämpfte Branche auf dem Weg in die Digitalität. Vor vielen Jahren fingen die wichtigsten Musikalienhändler Deutschlands an, Vertriebswege zu digitalisieren. Das Internet macht Wachstum möglich, mindestens europaweit, weltweit – soweit Zoll- und Handelsschranken beherrschbar würden.
- Europaweit blieb beim Komplettumbau ein fränkischer Vorzeigeunternehmer Gewinner – auf so vielen Ebenen – und gilt als Branchenprimus: Hans Thomann – Oder abbaesque: The Winner takes it all. Herzlichen Glückwunsch. Verdient ist verdient. Sehr beharrlich hart erarbeitet. Chapeau.
- Beim Vertrieb von Musikinstrumenten sind Punkte zu machen. Man muss das Business aber auch beherrschen. Die Bedeutung konventioneller Instrumente, die man redlich anfasst und für die Menschen Schulung (Unterricht) haben müssen, ist auf dem Rückzug. Und weiter gehts noch immer: Künstliche Intelligenz – KI – wird in den nächsten zehn Jahren frappierende Entwicklungen ermöglichen. KI nimmt sich. Es wird möglich, Musik auseinanderzunehmen, sie auszuweiden, auszuschlachten, vollkommen neu zusammenzusetzen. KI wird weitere Qualifizierung an Instrumenten zurückdrängen. Es wird nicht verkannt, dass Beherrschung eines Musikinstruments sich mit KI nicht ersetzen lässt. Natürlich nicht. Es interessiert nur immer weniger. (Was die inzwischen hervorragenden Ausbildungseinrichtungen angeht (Stichwort: Popkurs Hamburg, Popakademie Mannheim, vieles anderes mehr) möge der Leser diese Gedanken bitte nicht falsch verstehen. Die sind nicht gemeint: Sie werden weiterhin erfolgreiche Arbeit leisten. – Dies betrifft nicht den Handel mit Musikinstrumenten.
- Was macht den Wert einer Immobilie aus? Richtig: LAGE LAGE LAGE. – Unabhängig vom Gerede ist in Sachen Musikalienhandel SERVICE SERVICE SERVICE wichtig. Auch hier punktet Hans Thomann wie kein anderer. Damit hat JustMusic in Berlin während der letzten zehn/zwölf Jahre gar nicht mehr gepunktet. Das Tresenpersonal wurde nicht mehr besser, das Produktportfolio im Shop reduzierte sich immer stärker auf MASS MATERIAL (Massenware, plastikverschweißt). Tipps & Tricks, Kniffe, kleine Ersatzteile, Rat und Tat? – Pustekuchen. Ich bin oft regelrecht wütend wieder aus dem Laden raus.
- In diesem Zusammenhang erinnert sich der Berichterstatter gern an frühere Zeiten im Drumland in der Berlin-Wilmersdorfer Fasanenstr.. Hier wirkte früher Bodo Spliteser (08.04., 2011 hier) und beriet Drummer. Bodo war vielleicht das letzte funktionierende Servicebeast in diesem Unternehmen (man verzeihe mir Vereinfachungen wie diese).
Es ist nicht angemessen und wäre verspätet, dieses jetzt hochzuhalten, während JustMusic in den letzten Zügen liegt und schließen wird. Die Gemengelage ist jetzt gemischt: All diese Gründe spielen zusammengenommen die entscheidende Rolle, warum JustMusic weder in Deutschland, noch am Hauptsitz weiter bestehen kann. Dieses war absehbar, ich habe es gewusst und ich gebe hier und heute nicht an wie eitler Gockel im Klugscheißermodus.
Kein Trumpf, keine Freude – nur Trauer
Ich bin 2022 erstmals in diesem Laden gewesen, und das war auch das letzte Mal. Am Anfang wurde man – den Laden nicht kennend und unbeschwert in Richtung Treppe spazierend – erst mal sehr barsch zurückgedrängt. Man solle seinen Rucksack wegschließen, kein Bitte. Da ist mir überhaupt erst links die Wand mit den Schließfächern aufgefallen.Gut, nach oben spaziert, in der Gitarrenabteilung haben sie mich erst mal seltsam angeschaut, auch als ich mir sie näher ansehen wollte. Die Frage nach Probespielen wurde verneint. Dann oben bei den Keyboards, da suchte ich ein spezielles… Man guckte mich zuerst an wie ne Kuh, wenn’s blitzt, ich habs nach wenigen Minuten selbst gefunden. Drei Mitarbeiter standen um ne Theke herum, ich sprach sie an, und irgendwann nach ihrem Privatgespräch ließ man sich dann herab und reagierte auf mich. Meine einfachen Fragen konnte man nicht beantworten, ich habs dann gegoogelt. Bin zu einem der Verkäufer hin, sagte ihm, dass falls jemand noch mal danach fragt, das Keyboard diesunddas nicht kann und das aber geht. Antwort war ein arrogantes „Aha.“An der Kasse jammerte dann einer über Amazon und dass die Leute hier ja nur noch gucken kommen. Hab mir dann nicht verkneifen können, wie meine erste und auch letzte Erfahrung mit dem Laden war. Und dass sie sich nicht wundern brauchen, wenn die Leute bei Amazon oder Thomann bestellen.Ich trauer dem Laden nicht nach. Ich krieg mein Equipment auch woanders.Wenn der stationäre Handel es nicht gebacken bekommt, alles verschläft und sich nicht weiter entwickelt, die Leute nicht über ihre Ware bescheid wissen und sich für etwas Besseres halten, dann ist es Zeit, zu gehen. – beschreibt zu diesem Thema Chris Popp seine Nutzererfahrung (Spezialistengruppe Musikerwitze)
Es ist eine dieser Entwicklungen, wo man sagt: „Es ist keine Frage, dass JustMusic auf Dauer nicht fortbestehen kann. Es ist nur noch die Frage, wie lange noch halten sie durch? Nun wissen wir: 2024 – Ende der Fahnenstange einer Erfolgsgeschichte von früher, wie sie Gründer Jochen Stock (im Ruhestand) eröffnete. In den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts klein angefangen, groß geworden, wieder gesundgeschrumpft, aber das reichte nicht – Und nun das.
Jochen: Ich sende Dir meine Liebe, Aufmerksamkeit, und Traurigkeit gehört auch dazu. Ich verbinde viele emotionale Erinnerungen mit diesem kleinen Streuparadies an der Wilmersdorfer Fasanenstr. Im Kreuzberger Moritzplatzareal wurde ich letztlich WENIGER glücklich.
War selbst Kunde seit Ende der Siebziger, kaufte in den Achtzigern wahnsinnig teures Sonor-Signature-Schlagzeug. Ein Digitalpult Yamaha O2R, ein Tama Starclassic Bubinga, ein Spaun-Jazzdrumkit, Mikrofone, Kabel, Stecker und vieles anderes mehr. Als ich in den achtziger Jahren Sound- & Drumland (jetzt JustMusic) Anzeigen verkaufte, damit sie im von mir lektorierten ROCK CITY BERLIN (Szenebuch in der Art eines Who is Who in der Berliner Musikszene) stattfinden, war es noch wie ich es oben anreiße: Es war gar nicht die Frage, ob Sound- & Drumland in diesem Buch stattfindet. Das musste. Es war nur die Frage: Wie groß? – JustMusic damals war relevant.
Ich finde es außerordentlich bedauerlich, wie sich das entwickelt hat. Deswegen hat meinerseits Häme, Niedertracht und Freude am Niedergang dieses Geschäftsmodells keinen Platz in meinem Herzen. Nicht selten dachte ich am Tresen dieses mich selbst überhöhende, falsche „Sag mal, weiß Du eigentlich wie lange ich schon Kunde bei Jochen bin?“ – Pustekuchen, musste fluchen. Aus, vorbei, vergessen, verzeihen.
Natürlich bräuchte Berlin ein sehr sehr gutes Musikgeschäft. Auch für Schlagzeuger, so wie Jochen Stock ganz am Anfang angefangen hat: Jochen war Drummer und verkaufte Zeugs für Drummer. Es muss ja nicht ein Flagshipstore mit Etagen wie bei Harrods in London sein – Etage für Etage Lustgewinn und träumische Saumseligkeit, schwelgend im Appartschikmodus, oder wie Olli Dittrich für Saturn und Co. immer sagte: „Dis kauf ich Euch ab!“ – Das Konzept im Flagshiptstore am Moritzplatz fand ich schon gleich NICHT gelungen. Mit den Jahren wurden die Etagen immer mehr zu gelochten Wandblechen mit Anhängehaken, an denen plastikverschweißte Beliebigkeit hing. Bei Fragen wie zum Beispiel: „Ich hatte einen Workshop mit Benny Greb und er hat mir abends erklärt, wie er sein vierblättriges Kleeblatt, seine Meinl 8“ Crasher-Hats, direkt auf der Bassdrum montiert hat (Tipps & Tricks), entblödete sich ein Fachverkäufer von JustMusic: „Das haben wir hier nicht, kauf doch das.“ (was anderes). Die Geschichte habe ich hier am 10.02.2019 aufgeschrieben, bei Interesse. (Kritik – Von der Beratung von Fachverkäufern im Berliner Musikalienhandel)
Bitte hier jetzt kein Gift gespritzt, dazu ist es zu spät: Nur Liebe. Und Traurigkeit.
Im Zeichen der Tulpe
HISTORIENSPRÄNGEL